Tagesarchiv: 12. Juni 2009

nabelschau (17)

invasion der urmütter. kennen sie das? sie steigen in ein nahverkehrsmittel und gleich im anschluss steigt eine mutter mit ihrem einzelkind ein. gerade ist die schule aus oder das kind wurde in der kita abgeholt. beide sind auf dem weg nach hause. das kind ist ein wenig erschöpft, aber mutti sorgt sich um das wohlergehen des kleinen mit aller kraft, die ihr zur verfügung steht.

das beginnt mit „hast du hunger?“, „möchtest du was von dem brötchen?“, „willst du auch noch was zu trinken?“ und „siehst du da draußen das große auto?“. auffällig in den situationen ist, dass das kind eigentlich recht genügsam keinen wunsch äußert, noch nicht einmal ungeduldig scheint, sich einfach umschaut. nicht so die mama, sie ballert ihr liebstes stück mit fragen, angeboten und besorgtheiten zu. und dies in einer lautstärke, die alle mitfahrerInnen erfahren lässt, wie toll mama ist.

wer glaubt, dass, nachdem das kind signalisiert hat, alle bedürfnisse wie hunger, durst und unterhaltung sind gestillt, ruhe einkehrt, sieht sich getäuscht. jetzt geht die befragung los. was war in der kita los, waren alle freundInnen brav, was hat man gemacht, was hat man gelernt…? pädagogInnen nennen das lernerfolgskontrolle, mütter würden sofort von anteil am leben des kindes sprechen. denn sie vermuten, dass sich bestimmt situationen ereignet haben, gegen die man sich beim nächsten elternabend wehren muss. „war kevin böse?“.

oder kennen sie die situation, dass sie bei diesem schauerwetter an einer schule vorbei müssen, die gerade den unterricht beendet? Weiterlesen

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web 2.0 und die freie schreibe

der zunehmende diskurs im internet hat den vorteil, dass überhaupt wieder mehr diskutiert wird. der nachteil besteht aber darin, dass bei diesen diskussionen verschwimmt, was denn nun toleranz ist und was nicht oder anders formuliert, wann es an der zeit ist nicht mehr tolerant zu sein.

schaut man sich die diskussionen vor allen dingen auf den kommentarseiten an, kann man feststellen, dass es oft erst inhaltliche kritik gibt, vor allen dingen, wenn jemand missstände in bezug auf gesellschaft und toleranz im post formuliert hat. dies ruft widerspruch hervor und es wird oft genug aufgefordert, die kirche doch im dorf zu lassen. es werden gründe benannt, weshalb die gesellschaft sich intolerant und sanktionierend verhält. das löst bei betroffenen reflexe aus, die sich gegen die beschuldigungen positionieren.

und dann kommt irgendwann die obligatorische toleranz-stimme, die eigentlich keine ist. es wird gefordert, dass es doch auch möglich sein müsse mal zu schreiben, was man denke, ohne gleich angegriffen zu werden. auch die folgenden reaktionen seien ein zeichen von intoleranz und keinen deut besser als das, was man kritisiere. diesen umkehrschluss finde ich immer wieder faszinierend. denn er fordert ein, dass unter dem zeichen der toleranz intolerantes verhalten toleriert werden muss. kommt noch jemand mit oder haben schon alle aufgehört zu lesen?

so jedenfalls schleicht sich in viele diskurse im internet aber auch auf den leserbriefseiten der zeitungen eine form von forderung nach freier schreibe, also man sollte doch schreiben können, was man denkt, die vor allen dingen intolerante haltungen stützen soll. dadurch wird versucht, die im post geübte gesellschaftskritik ein für alle mal zu entsorgen. denn wer gesellschaftliche missstände kritisiert, muss bereit sein, die gegenposition stehen zu lassen. nein, muss man nicht, kann man. denn die gegenposition transportiert genau das, was man kritisiert. es scheint, hinter allem steckt die forderung bei uns, dass der der kritisiert generell ein in allen lebenslagen viel besserer mensch zu sein hat. wie soll das gehen?