wir strengen uns an. wir bemühen uns. wir verändern uns. wir versuchen uns anders zu verhalten. wir analysieren uns. wir durchleuchten uns. wir ergründen unsere handlungen. wir strukturieren uns. wir erkennen uns. all dies, so weit wir es uns gedanklich vorstellen können. und wir lernen, dass es nie genug sein kann. wir sind uns sicher, dass wir, wenn wir uns selber erkennen, genug baustellen finden, an denen wir arbeiten können und sollen. so sind wir aufgerufen immer weiter zu wühlen und zu graben, um endlich dem ideal des allumfassend selbstaufgeklärten menschen nahezukommen. verweigern wir uns diesem prozess, stehen schon mahner und warner parat, die uns darauf aufmerksam machen, dass es an der zeit sei, an uns zu arbeiten. wir gelten schnell als nicht sozial kompatibel, wenn wir unsere beweggründe nicht offen legen können. unsere handlungen sind immer begründet, doch wir müssen auch die gründe wissen.
muss das sein? wer stellt die regel auf, dass man sich selber kennen müsse? und wie hat das auszusehen? nun, heute verdächtigen sich viele menschen selber. sie vermuten, dass es in ihren tiefen, in den abgründen ihrer seelen, verstecke gibt, die sie noch nicht erschlossen haben. sie vermuten schlimmes, dunkles oder böses in sich. darum begeben sie sich auf die suche. die suche nach dem wahren kern, dem punkt, ist er einmal ergründet, der den weg zum glück versperrt. dabei übersehen sie gern, dass ihnen beständig von außen die sicht auf ein glückliches dasein verstellt wird. es ist nicht ihr verschulden, indem sie sich nicht zur genüge kennen. es ist höchstens ihr verschulden, dass sie sich die alleinige verantwortung für ihre lebenssituation aufbürden lassen. gern eingenommen werden zwei reaktionsmuster. das eine erkennt irgendwann die behinderungen von außen, resigniert ob der großen macht und formuliert: „ich kann ja sowieso nichts ändern.“ das andere muster verinnerlicht die selbstverantwortung, begibt sich auf die suche nach mehr selbsterkennen, analysiert, durchdringt und zerstückelt die eigene person und findet laufend neue fehler und schwächen, resigniert und formuliert: „ich bin ein schlechter mensch.“
selbsterkenntnis sollte beide seiten der medaille betrachten, die gesellschaftliche und die individuelle. dazu benötigt es keine selbstkasteiung und keine fremdverurteilung, dazu bedarf es einer gesellschaftstheoretischen grundlage und einer entwicklung von selbstwertgefühl. eigentlich soll dies erziehung erreichen, die pädagogik, und formen der sozialen kommunikation. doch andere menschenbilder, als die eines wertvollen wesens gewinnen gerade die überhand. es ist die meist konservative vorstellung, der mensch sei an sich ein böses wesen, das nur durch kontrolle und reglementierung nicht aus der rolle fällt. so werden alle hebel in bewegung gesetzt, den radius des wirkkreises gesellschaftlicher kritiken einzugrenzen. das fängt schon früh an: kinder bekommen immer weniger auslauf, da eltern sie vor der bösen welt, den bösen menschen um sie herum, beschützen möchten. sie können sich in vielen bereichen überhaupt nicht mehr erkunden ohne das erziehungsberechtigte rufen: „bin schon da!“. was gibt es da noch zu entdecken in der welt, an sich selbst? nüscht!
ein wenig aufgehübscht soll die kleine, enge welt, jedoch werden, da der widerstand sonst zu groß wird. man erfand die erlebnispädagogik. wer sich nicht mehr selbst entdecken kann, wird in eine erlebnis geschubst, um kontrolliert erleben zu können. das erlebnis wird geplant, organisiert und begleitet. das eigene tritt immer stärker in den hintergrund und das fremderleben bekommt eine lehrreiche seite. damit wird aber das „spiel“, eine der grundlagen von selbstakzeptanz und kreativität in ein gehege mit fütterung verwandelt.
werden die kinder älter, werden sie erwachsene, stellen sie irgendwann fest, dass es da wohl noch eine ganze menge anderes in ihnen und auf der welt gibt, das sie nie kennengelernt haben. sie versuchen das spiel nachzuholen, weigern sich erwachsen zu werden, probieren und experimentieren, doch der lange arm der gelenkten erfahrung reicht bis zum auslandsaufenthalt, bis in die universitäten und ins arbeitsleben. auch hier gibt es ein konzept: so hilflos die jungen erwachsenen, ganz ohne kompetente grundlagen, wir müssen ihnen den weg bereiten. wir machen sie zu gutmenschen, die fleissig an sich arbeiten sollten, damit sie nicht aus den augen verlieren, wie schlecht der mensch, respektive sie sind. und so bemühen wir uns alle, zu gefallen, anerkennung zu bekommen für unser wohlverhalten.
selbsterkenntnis ist aber etwas anderes. selbsterkenntnis kann nur einhergehen mit der erkenntnis, sich selbst etwas wert zu sein, mit der erkenntnis, nicht fehlerfrei zu sein. doch im gleichen atemzug, auch viele „fehler“ schätzen zu lernen und die langeweile der perfektion zu entdecken. denn schön findet der mensch (zum beispiel in der natur) eigentlich das wilde, unkontrollierte und nicht-perfekte. die kleinen überraschungen, die nicht gesteuert werden können, das gefühl, nicht für alles was geschieht, verantwortlich zu sein. also lohnt sich selbsterkenntnis vielleicht doch, immer wenn der blick für das außen zurückgewonnen wird, ohne das einem jemand sagt, was man gefälligst für schön zu befinden hat.
schoener text….du hast recht,aber wenn es so einfach waere,da braucht es auch distanz zum „eigenen“ und zur welt
gruss regido
die distanz zum eigenen, subjektiven, hieße sich objektivieren zu können. ein schwieriges unterfangen, da es das unmögliche fordert, über sich hinauszudenken. das geht immer nur bis zu einem bestimmten punkt, denn da setzt mensch sein grenzen. eigentlich auch ganz schön, wer weiß, wo wir uns sonst verlieren könnten.
ja wenn man/frau ueber diesen punkt hinausgeht sprechen wir glaube ich von entfremdung,von der krankheit der seele….aber ich wundere mich immer wieder wie schwer es ist von sich selbst abzusehen,sich selbst in einem gesamtzusammenhang warzunehmen….das wuerde doch sehr helfen,beim schneeschueppen,oder beim arbeitslos sein…zu wissen da sind andere tausende….denen geht es aehnlich wie mir
und ich muss mir das nicht alleine auf meine schultern laden,ich kann es (mit)teilen….da koennte dann doch etwas ganz neues entstehen 🙂
wohl wahr, wenn man den wert eines sozialen miteinanders erkennt. aber gleichzeitig müsste man das gefühl haben, an den bedingungen etwas ändern zu können. diese möglichkeit wird, glaube ich, sehr unterschätzt.
aber ich meinte auch noch etwas anderes als entfremdung. menschen sind per se, also per fantasie, unfähig, etwas ganz anderes als menschliches zu denken. man kann sich zwar die verrücktesten aliens im weltall vorstellen, doch auch diese werden immer menschlichen spektrum herumeiern, selbst wenn sie antimaterie sind und uns aus einer anderen zeitspalte beeinflussen. allein die vorstellung von materie und von zeit ist eine menschliche. wahrscheinlich kann ich nur bedingungen und verhältnisse abstrahieren, mich aber nie vollständig dem gefüge entziehen.