nachdem ich hier die hymne auf das kreative schreiben verfasst hatte, ist es an der zeit einen kritischeren blick auf die möglichkeiten zu werfen. denn kreativität ist eine form des ausdrucks, es ist aber auch eine form, die immer die deutungshoheit den anderen überlässt. kreatives schreiben kann nicht nur positive effekte haben. hier seien ein paar fragwürdigkeiten aufgelistet:
- das schreiben in metaphern, die umschreibung von situationen und gefühlen, eine schöne sache, in der sich andere wiederfinden können. doch manches bleibt in der uneindeutigkeit hängen. kreatives schreiben ist kein klartext. es gibt aber sehr wohl situationen im leben, in denen klartext notwendig ist.
- kreatives schreiben kann deshalb auch als fluchthilfe dienen. wenn die angst zu groß ist, eindeutigkeit zu formulieren, lässt sich vieles hübsch verpacken. gleichzeitig lässt es aber die leserInnen im unklaren und übergibt ihnen die aufgabe, das geschriebene zu entschlüsseln. unversehens wurde in diesem moment ein machtverhältnis aufgebaut.
- ich äußere mich, äußere mich aber nicht wirklich. die aufforderung lautet: strengt euch an, mich zu verstehen. zumindest wenn die texte direkt an bekannte personen gerichtet sind. das kann ein schönes, intimes spiel sein. es kann aber auch ein aufmerksamkeit erheischendes ritual werden. ab diesem moment ist die furcht vor sanktionen zu vermuten. würde ich schreiben, was ich wirklich denke und fühle, muss ich damit rechnen, dass die anderen mich bestrafen.
- für einen selber kann kreatives schreiben auch der versuch sein, nicht genau hinzuschauen. wenn ich nahegehende erlebnisse in schöne märchen verpacke, dann kann dies eine brücke zu meinem selbst sein, ebenso aber auch ein minenfeld. verdrängung fällt leichter, so lang ich selber nicht offen ausspreche, was mich eigentlich bewegt. auch diese medaille hat wieder zwei seiten. ohne verdrängung könnten menschen gar nicht existieren, selbstschutz ist notwendig, zu viel beiseite geschoben, entfremdet einen aber von den eigenen bedürfnissen.
- so kann kreatives schreiben auch zu beschwichtigenden „sucht“ werden, wie beinahe alles andere im leben auch. auch das ist erst einmal nicht „schlimm“, da es in diesen momenten notwendig scheint. und doch scheint es sinnvoll, darauf zu achten, wann man nur noch in metaphern kommuniziert und vergisst, dass man eigentlich auch direkt sprechen kann. dies wird einem spätestens dann bewusst, wenn andere signalisieren, dass sie einen nicht mehr verstehen oder wenn die interpretationen der anderen vollständig an dem vorbeigehen, was ich ausdrücken wollte.
- kreatives schreiben ist erst einmal „nur“ ein ausdruck, es beseitigt nicht die eigentlichen ängste. die ansprüche hat das schreiben auch nicht, wird aber gern so verwendet. um ängste abzubauen, muss ich nicht nur gründe benennen, sondern handlungsmöglichkeiten gedanklich durchspielen und vor allen dingen dann handeln. kreativität kann mir noch beim durchspielen von möglichkeiten helfen, aber nicht bei der eigentlichen umsetzung in handlungen.
- ein effekt des kreativen schreibens kann folgendermaßen beschrieben werden: „schön darüber gelesen zu haben“. das öffentlich machen, muss keine konsequenzen nach sich ziehen. es gibt keine garantie, dass sich andere das geschriebene zu herzen nehmen. um dies zu erreichen, muss ich die anderen direkt anschreiben. so kann ich auch auf der hoffnung sitzen bleiben, verstärkt wahrgenommen zu werden.
- kreativität ersetzt nicht die ernsthafte analyse von situationen. bei manchen lebenssituationen und -umständen ist es notwendig, ins detail zu gehen. aufzuschlüsseln, wie die hintergründe des erlebten aussehen, objektive kriterien einer beschreibung zu finden. kreatives schreiben bleibt immer subjektiv.
- kreatives schreiben bedient sich gern der verallgemeinerung, hat bei den leserInnen aber selten diesen effekt. kreatives kommt als persönliches daher, was es den konsumentInnen einfacher macht, es auch als persönliches und nicht allgemein gültiges zu sehen. mit dem kreativen schreiben kann ich also schwer (auf)forderungen oder handlungsanweisungen verbinden. ich muss damit rechnen, dass ich nicht so verstanden werde.
- kreatives schreiben kann schönes produzieren. aber ich sollte darauf gefasst sein, dass ästhetik ein unüberschaubares feld ist. das, was ich schön finde, müssen andere überhaupt nicht so empfinden. oder anders und noch schlichter formuliert: die geschmäcker sind verschieden. geschmackliche feedbacks sind zwar nett („mir gefällt, was du schreibst“) und können mich in meinem tun bestärken, sie tragen aber nichts zu einer weiterentwicklung im schreiben bei.
nach diesen ernüchternden seiten des kreativen schreibens möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass es sich bei dieser schreibpädagogischen richtung generell um eine zusätzliche erweiterung des eigenen lebenskonzepts handeln kann. und das ist auch eine gewaltige entwicklung. und, was mir als einer der wichtigsten aspekte erscheint, es kann einfach spaß machen, spielend umgesetzt werden. in einer so ernsthaften welt scheint dies eine attraktive alternative zu sein. außerdem kann kreatives schreiben eine hilfe sein, ernsthaftes und wichtiges besser auszudrücken, also eine vorstufe zum klartext bilden. ich sollte mir nur meiner gründe der verwendung des kreativen schreibens bewusst sein und die grenzen meines tuns erkennen.