eigentlich kann man in jedem alter seine bisherige lebensgeschichte notieren. auch kinder können den stift ergreifen, wenn sie des schreibens mächtig sind. doch meist widmen sich die menschen in höherem alter dem biografischen schreiben. schaut man also in die 30er, 40er oder 50er jahre des letzten jahrhunderts zurück, dann war zu dieser zeit, was die geschlechterrollen betraf, die welt noch in ordnung. es gab mann mit bestimmten rechten und pflichten, es gab frau mit bestimmten rechten und pflichten. der mann war in vielen zusammenhängen im vorteil und es stellte sich nicht die frage, daran etwas zu ändern.
im leben etlicher menschen dürften die 60er und 70er jahre in ihrem selbstverständnis einen tiefen einschnitt bedeutet haben. plötzlich gab es kritik an den rollen, die sie in der gesellschaft und im zusammenleben übernahmen. mancher mann erkannte seine frau nicht wieder, es kam zu trennungen und neuen zusammenlebenskonzepten. alleinerziehende frauen wollten sich nicht mehr verstecken müssen, uneheliche kinder waren nicht mehr automatisch eine schande. männer wurden aufgefordert die hausarbeit auch als arbeit anzuerkennen, frauen befreiten sich aus ihren abhängigkeiten von den männern.
auch wenn es von den 70ern bis heute ein langer weg war, so wurde sich doch stück für stück von vielen aspekten der geschlechterrollen getrennt. nicht alle ungerechtigkeiten sind verschwunden. frauen verdienen in hohen positionen meist immer noch weniger und gelangen auch schwerer in diese positionen. männer müssen immer noch häufiger in den krieg ziehen und das geld nach hause bringen. aber ohne ein umdenken würde es heute keine elternzeit für väter geben, existierten nicht so viele single-haushalte, wären patchwork-familien unvorstellbar und vieles mehr.
beim betrachten der eigenen lebensgeschichte ist es hilfreich, einmal zu schauen, wie weit sich die vorstellung von der eigenen geschlechterrolle über die jahrzehnte verändert hat. ist da etwas geschehen? oder hat man das gefühl, dass diese debatten aufgesetzte sind, die keinen einfluss auf einen selber hatten? und was hält man denn von manchen forderungen sowohl an männer als auch an frauen? manch einer wurde zum softie, den die frauen dann auch nicht besonders attraktiv fanden. manch eine versetzte jeder mann in wut und das lebensumfeld besteht nur noch aus frauen, klammert viele kontakte aus. es geht beim biografischen schreiben weniger um die bewertung ist es eine „gute“ oder „schlechte“ persönliche entwicklung, das können die schreibenden nur für sich selber entscheiden, es geht eher um die frage, wie beeinflussen die entwicklungen mein leben? welche entscheidungen habe ich aufgrund der gesellschaftlichen veränderungen getroffen?
und zum schluss kann man sich, auch unabhängig vom alter, fragen, welche geschlechterrolle man denn heute einnehmen möchte. gibt es da etwas, was noch zu verändern wäre? fühlt man sich immer noch auf sein geschlecht festgelegt und findet man dies angenehm oder unangenehm? das betrachten der geschlechterrollen im eigenen leben ist auch immer ein blick auf das gewinnen von freiheiten und möglichkeiten. darum birgt dieses thema viel persönliche selbsterkenntnis in sich und macht jede lebensgeschichte spannend.