es gibt zwei aspekte bei der frage, welche rolle der eingenommene blickwinkel bei der schreibpädagogik spielen kann. zum einen kann man die schreibgruppen oder einzelnde schreibende anregen, einmal einen anderen blickwinkel einzunehmen. zum anderen kann man seinen eigenen blickwinkel auf die schreibenden und ihre texte verändern, aus einer anderen perspektive einen blick darauf werfen.
den blickwinkel der schreibenden verändern. die bekannteste variante ist sicherlich, verschiedene geschichten zu verfassen mit mehreren protagonisten. dabei wird die geschichte jeweils aus der sicht eines protagonisten erzählt. man nimmt beim schreiben immer wieder eine andere rolle in der geschichte ein. dann kann man noch den beobachtenden schreiber geben, der den überblick über alle geschehnisse hat und sogar eine ahnung vom ausgang der erzählung vermitteln.
daneben kann man aber auch „zoomen“, aus der entfernung beschreiben, ganz nah herangehen an das geschehen. man kann einen gegenstand beobachten lassen, dem gegenstand leben einhauchen und seine rolle einnehmen. es gibt viele varianten, wie der blickwinkel beim schreiben ein und desselben geschehnisses verändert werden kann.
als schreibpädogInnen kann man den schreibgruppen die anregung geben, jeweils den blickwinkel zu verändern. man kann die entstandenen texte vergleichen lassen. dadurch entwickelt sich bei den teilnehmenden ein gespür für die veränderten sichtweisen. wenn man dann dem blickwinkel eine emotion hinzufügt, dass zum beispiel protagonist eins gerade von seiner frau verlassen wurde, dann ergeben sich immer differenziertere geschichten und szenen.
das einnehmen eines veränderten blickwinkels kann den schreibenden zum beispiel beim szenischen schreiben ein gefühl für dialoge geben, da jeder protagonist in seine äußerungen die eigene sicht einfließen lässt. oder es lässt sich ein mosaik eines geschehnisses erstellen, dass die sicht auf das eigentliche geschehen langsam darstellt. der perspektivenwechsel kann einer geschichte erst ihre spannung geben. dies sollte in schreibgruppen vermittelt werden. die schreibpädagogik entwickelt dazu die schreibanregungen und -ideen.
die veränderung des eigenen blickwinkels. hierbei geht es um einen ganz anderen aspekt. wenn man eine schreibgruppe anleitet, begegnet man meist verschiedenen subjekten, die schon unterschiedliche gründe haben, weshalb sie überhaupt schreiben wollen. eine gute gruppenleitung zeichnet sich auch dadurch aus, dass sie nicht nur das gefüge der gruppe wahrnimmt, sondern auch die sicht der einzelnen auf die gruppe und die jeweilige rolle aller teilnehmerInnen.
dafür gibt es aus der psychologie und psychotherapie den begriff der empathie, einen etwas schwer zu umschreibenden begriff. es geht in der schreibpädagogik auch darum, sich in die einzelnen teilnehmerInnen einer schreibgruppe reinversetzen zu können. so kann man zum beispiel eine ahnung davon haben, warum person x immer so drastische feedbacks gibt oder person y ihre texte beständig selber abqualifiziert.
man sollte im laufe einer gruppenleitung immer mal wieder den blickwinkel der jeweiligen teilnehmerInnen einnehmen. wie sehen sie vielleicht die gruppe? wie gehen sie an ihre texte heran? warum schreibt jemand grandiose texte, traut sich aber kaum sie vorzustellen? diesen perspektivwechsel kann man durch die schlichte frage erreichen: wie würde ich mich als person x gerade fühlen? doch vorsicht! diese annahmen basieren neben dem einfühlen auf deutungen. man kann mit seinen eigenen annahmen auch schief liegen.
es ist immer wieder zu bedenken: wenn man sich in seinen ansichten nicht sicher ist, wenn man schwer einschätzen kann, ob sich jemand unwohl fühlt, kann man jederzeit nachfragen. außerdem bieten feedbacks am ende eines treffens einen guten anhaltspunkt, den blickwinkel der teilnehmerInnen noch einmal neu zu justieren. diese freiheit sollte man sich nehmen. denn tut man dies nicht, wird das bild auch beim perspektivwechsel ein zu fest gefügtes.