nabelschau (36)

fremdschämen. eigentlich denkt man, irgendwann hat man sich daran gewöhnt. das muss doch mal klappen, dass man diese sendungen im fernsehen sehen kann, ohne recht schnell umschalten zu müssen. doch das geht nicht. nein, es wird eher schlimmer. von mal zu mal denkt man sich, wie können menschen sich so zum affen machen. man möchte ihnen nicht zusehen, wie sie all ihre selbstachtung über den haufen werfen und sich von jemandem öffentlich beschimpfen oder vorführen lassen.

casting, dschungel, kampfschlösser oder einsame inseln, ja sogar container bieten genug platz für fremdschäm-reize. wie sagte einer der moderatoren und richter in der eigenen werbung? „euern träumen und tränen werde ich ein zuhause geben.“ aua, auuuuaaaa, das hält man doch nicht aus. ein zuhause beschützt und behütet mich, es ist der rückzugsort gegenüber all den anmutungen von außen. doch das hier propagierte zuhause ist kein schutzraum. genau das gegenteil ist der fall.

beim fremdschämen mag es immer der fall sein, dass die personen, die die scham bei einem auslösen, alles gar nicht so tragisch sehen. aber von außen betrachtet möchte man es einfach nicht betrachten. der vorteil vom fernseher: man kann umschalten. im alltag wird das schon schwerer. da merkt man, wie jemand vollständig aus der rolle fällt. da möchte man dazwischen springen und „stopp!“ rufen. doch keine chance, es geht weiter.

in diesen momenten hat man einzig die möglichkeit, den raum oder ort zu verlassen, sich der situation nicht mehr auszusetzen. doch das ist leichter geschrieben als getan. man kann ja menschen nicht einfach stehen lassen. doch man kann schon. aber die fragen dann meist, was los ist, wenn man versucht, sich davon zu stehlen. also bleibt man. beisst sich auf die zunge, knirscht mit dem kiefer oder malt auf einem zettel vor einem bildchen. denn man hätte nun zwei möglichkeiten: einzuhaken und aufzuzeigen, dass die situation gerade für einen unerträglich wird. oder man könnte oft genug losprusten. beide reaktionen werden auf wenig gegenliebe stoßen.

also alle muskeln anspannen und an anderes denken. das klingt jetzt überheblich, aber auch hier gilt: die anderen mögen die situation ganz anders erleben. es geht vielleicht nur einem selber so. zurückhaltung ist angesagt. in den medien begibt sich jemand bewusst in die öffentlichkeit, im alltag ergeben sich situationen. und wer weiß, wie oft sich die menschen für einen selber fremdschämen. und doch ist das gefühl ein ganz außergewöhnliches: ein kitzeln im bauch kombiniert mit fussnägeln, die sich hochziehen, und heranschleichender nervosität. das muss nicht sein. bitte nie wieder casting-shows.

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