schreibpädagogik und entschuldigen

eine etwas seltsame überschrift. man muss sich ja für eine schreibgruppenteilnahme oder eine schreibgruppenleitung sowieso nicht entschuldigen. also was hat das entschuldigen mit den angeboten zum schreiben, zum schreiben können, zu tun?

eine sehr beliebte form, den eigenen text in gruppen vorzutragen, besteht darin, eine erklärung oder eine untertreibung voranzustellen. als erste reaktion tritt bei den anderen teilnehmerInnen oft das gefühl, es gehe um fishing-for-compliments, auf. man erklärt seinen text vorher schon einmal für nicht so gelungen, benennt knackpunkte und vorweggenommene urteile. man macht für das in den eigenen augen mittelmäßige ergebnis die knappe zeit, den gerade vorherrschenden persönlichen stress oder auch nur die tagesform verantwortlich.

eigentlich entschuldigt man sich für seinen eigenen text, den man den anderen zu gehör bringt. damit senkt man die erwartungen und versucht einer kritik vorzubauen. im gleichen atemzug macht man aber seine eigene kreative schöpfung zunichte und wertet sie ab. ich mache mich klein und überhöhe die anderen zum jüngsten gericht. ich nehme vermutetes feedback vorweg. durch die entschuldigung, mache ich es anderen schwer, sich gelassen mit meinem text auseinanderzusetzen. sie sind aufgefordert, mir zu widersprechen, wenn sie den text nicht so schlecht finden, wie ich ihn beschrieben habe.

durch das entschuldigen setzt man andere schreibgruppenteilnehmerInnen und die gruppenleitung unter druck. ähnliches suggerieren gruppenleitungen, die schon zu beginn zu verstehen geben, dass sie dieses mal leider schlecht vorbereitet sind oder dass ihre tagesform eingeschränkt ist. es geht nicht darum, unterstützung durch die gruppe zu erfahren, es geht darum, jegliche kritik im keim zu ersticken. denn was kann man darauf noch sagen? wer sagt schon „ja aber du bist die gruppenleitung, du müsstest vorbereitet sein.“? das mag man denken, doch offen ausgesprochen wird es selten.

eigentlich hätte der titel dieses post „schreibpädagogik und nicht-entschuldigen“ lauten müssen. denn es geht mir darum, zu zeigen, wie man als leitung oder als teilnehmerIn diese vorgehensweise aushebeln kann. man könnte mit einer überspitzung der situation reagieren und sagen: „ja, dann lies doch deinen schlechten text vor. wir haben keinen zweifel daran, dass der wieder nichts geworden ist, so wie wir das schon von dir gewöhnt sind.“. oder man formuliert: „wie immer hatten wir erwartet, dass du schlecht vorbereitet bist. wir fanden deine gruppenleitung auch die letzten male gruselig.“.

dies mit einem lächeln formuliert, hebt die ernsthaftigkeit der aussage auf. es zeigt, in welcher schleife der abwertung sich die sich entschuldigenden befinden. man hebelt den druck, der auf einen ausgeübt wird, aus. den was sollen die sich entschuldigenden daraufhin sagen? „ja, dann sind wir uns ja einig. ich bringe hier nichts vernünftiges zustande.“ das sagen sie nicht, sie hatten eigentlich auf widerspruch und nicht auf zustimmung gehofft. sie merken durch das lächeln aber auch, dass es nicht darum geht, sie in die pfanne zu hauen. viele realisieren in diesem moment, wie klein sie sich machen.

solch eine erste reaktion wird nicht von heute auf morgen die grundhaltung der sich entschuldigenden verändern, aber es durchbricht die kommunikationsstruktur und verwirrt. man ist es nicht gewöhnt, dass andere einem vollständig in der selbstkritik folgen. also überlegen sie vielleicht das nächste mal im vorfeld, ob sie sich erst einmal rechtfertigen sollen. der zweite schritt bestünde dann darin die gelassenen kritiken und komplimente auch wirklich anzunehmen, die von den anderen schreibgruppenteilnehmerInnen vorgebracht werden. man bringt durch solch eine verhaltensweise der schreibgruppe mehr vertrauen entgegen.

denn einen weiteren beigeschmack haben die vorgezogenen entschuldigungen und rechtfertigungen: sie hinterlassen bei den zuhörerInnen das gefühl, dass sie sich täuschen müssen, wenn sie den text gut finden. sie haben das alles noch nicht verstanden. es steckt auch eine passiv-aggressive haltung in den entschuldigungen. „wenn ihr mich schon zwingt, einen text vorzutragen, dann müsst ihr damit leben, dass der mies ist.“ die lösung: einfach nur vorlesen, ohne viele worte darum zu machen.

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