Tagesarchiv: 13. April 2011

wortklauberei (68)

grenzwert

eine unserer menschlichsten fähigkeiten besteht neben der selbstreflexion im dinge vergleichen können. wir finden worte dafür wie „groß“ und „klein“, „dick“ und „dünn“ oder „hell“ und „dunkel“. diese vergleiche haben wir perfektioniert. wir haben sie messbar gemacht. da gibt es skalen für die verschiedensten eigenschaften, die uns eine einordnung leichter machen. manche skala erscheint einem sehr hilfreich, wie zum beispiel die schuhgrößen, andere, wie die reissfestigkeit von frischhaltefolien, interessiert nur am rande.

besonderes augenmerk werfen wir aber auf grenzwerte. grenzwerte werden immer dann festgelegt, wenn etwas gefährlich wird, also für den menschen gefährlich wird. meist ist es ein langer prozess, bis ein grenzwert zu diesem ernannt wird. je mehr wissenschaftliche erkenntnisse über die auswirkungen von flüssigkeiten, stoffen und strahlungen auf den menschen, entstehen, desto genauer können grenzwerte festgelegt werden. natürlich sind grenzwerte nie ohne politische einflussnahme entstanden. doch sie stellen eine verallgemeinerungen und einen gesellschaftlichen konsens dar.

ja, wir menschen halten unser leben für schützenswert. das ist eigentlich eine schöne grundhaltung uns selbst gegenüber. und wird ein grenzwert überschritten, gibt es eine meldung darüber, wird dies inzwischen häufig veröffentlicht. der grenzwert war bis heute eigentlich kein pädagogisches instrument. doch da haben wir uns getäuscht. es gibt einzelne menschen, die uns nun erklären, dass grenzwerte eigentlich nur eine kleine spielerei sind. die „grenze“, die festgelegt wurde, wurde nur festgelegt, damit sich alle bemühen, unter der grenze zu bleiben.

aber nun greift eine weitere fähigkeit des menschen: die hohe flexibilität und anpassungsbereitschaft. nach dem super-gau in japan werden überall auf der welt die grenzwert für verstrahlte gegenstände und produkte hochgefahren. denn die bisher herrschenden grenzwerte seien sehr niedrig veranschlagt worden. ah ja, eine interessante haltung, denn anscheinend werden die werte gewürfelt und nicht begründet. in dem moment, in dem grenzwerte regelmäßig überschritten werden, in dem setzt man dann den wert einfach hoch, damit er nicht so häufig überschritten wird.

vielleicht hat jemand das wort grenzwert einfach noch nicht verstanden. es ist kein notenspiegel, der den leistungen der gesamten gruppe angepasst wird. der wert stellt eine grenze dar, ab wann etwas für den menschen gefährlich werden kann. wir menschen mögen flexibel sein, aber wir sind kein lebewesen, das über nacht gegen strahlung resistent werden kann. hier ist nur jemandem lästig immer wieder die überschreitung des grenzwertes zu melden. darum schlage ich vor den „grenzwert“ in „was-nicht-tötet-härtet-ab-wert“ umzubenennen.

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schreibidee (250)

habe gerade mal wieder die rückmeldung erhalten, doch zu viele worte für die darstellung eines sachverhalts verwendet zu haben. es mag der teils kritische blick auf situationen sein, der dazu veranlasst, möglichst viele informationen und einschätzungen abzugeben. das lässt texte anwachsen, wenn jede eventualität bedacht wird. da aber zeit geld ist, wird „kurz und knackig“ in manchen zusammenhängen bevorzugt. man kann es auch anders nennen: asketisch. darum soll die nächste schreibanregung ohne firlefanz und schnickschnack daher kommen, um „asketische geschichten“ zu verfassen.

als einstieg wird von der schreibgruppenleitung ein maximal zweiseitiger literarischer text mitgebracht, den alle teilnehmerInnen erhalten. aufgabe ist es nun, diesen text um fünfzig prozent zu kürzen. es soll möglichst wenig umgestellt werden, sondern beinahe ausschließlich gestrichen werden. anschließend werden die verschiedenen textvarianten vorgelesen.

im nächsten schritt wird noch einmal um die hälfte gekürzt. auch dies hauptsächlich durch streichungen. es darf auch dazu kommen, dass sich der sinn des textes verändert. und in einem weiteren schritt ist der text in ein 3-strophiges gedicht zu fassen. der sehr kurze text und das gedicht werden anschließend vorgetragen. es gibt eine kurze feedbackrunde, wie effektiv die verschlankung des textes umgesetzt wurde.

nun ist es an den teilnehmerInnen der schreibgruppe, selber eine sehr schlanke geschichte zu verfassen. es ist maximal eine seite zum thema „askese“ zu verfassen, aber es sollte sich dabei um eine storie handeln (es kann eine beliebige assoziationstechnik im vorfeld dazu angewandt werden). dazu kommt die auflage, nur sätze mit maximal 10 wörtern zu verwenden. die texte werden anschließend vorgetragen und bei der feedbackrunde wird diskutiert, ob sich durch die kurze, sparsame darstellung etwas an der aussagekraft der texte verändert.

zum abschluss wird der verfasste text von den teilnehmerInnen jeweils in ein elfchen „gepackt“. lässt sich der sinn der geschichte so weit verkürzen? es dürfen auch gern zwei oder drei versionen in elfchenform verfasst werden. die elfchen werden kurz vorgetragen.