Tagesarchiv: 4. August 2011

wortklauberei (78)

„lasst benni nicht im heim sterben“

ein blick zum zeitungskiosk und die fetten lettern „lasst benni nicht im heim sterben“ brettern einem vom berliner kurier herab entgegen. ja, kurz schießt einem durch den kopf, dass es eine logische folge des pflegenotstands ist, dass beinahe alle menschen früher oder später im heim oder im krankenhaus sterben. dass die wenigsten zuhause, in ihren eigenen vier wänden versorgt werden können, denn es fehlt meist das geld einen rund-um-die-uhr-pflegedienst zu bezahlen.

das sagt schon viel über die gesellschaft aus, dass sie die menschen, die ihr leben lang gearbeitet, ihren sozialen beitrag geleistet und sich um andere gesorgt haben, kinder groß gezogen haben, dass diese menschen oft in fremder umgebung mit einem minutiös festgelegten pflegeplan versorgt werden. keine zeit darf bei ihnen „verschwendet“ werden, da sonst das pflegebudget gesprengt wird. wir haben zwar eine pflegeversicherung, aber die deckt nicht mehr als eine kärgliche grundversorgung ab. und nicht jeder mensch möchte von seinen angehörigen gepflegt werden, die oft von der situation überfordert sind und im gegensatz zur großfamilie keine ablösung haben.

dies geht einem durch den kopf, wenn man über benni nachdenkt. doch dann fällt der blick auf das bild daneben und man sieht einen dieser handtaschen-fifis mit etwas schiefem blick abgebildet. dann fällt einem auch der untertitel auf. er weist darauf hin, dass der älteste hund berlins in einem tierheim lebt. und hier liegt auch der hund begraben: das sagt noch mehr über unsere gesellschaft aus. eigentlich könnte man jeden tag im kurier titeln „lasst paule nicht im heim sterben“, „lasst bine nicht im heim sterben“ und daneben einen menschen abbilden.

Werbung

schreibidee (288)

tja, wie sich dem thema näher? am besten augen zu und durch. so oder ähnlich könnte man scherzhaft die folgende schreibanregung umschreiben. denn es ist nicht so leicht, die richtigen worte zu finden. manches klingt zu gestelzt, anderes zu flappsig. formuliere ich es mal so: jeder mensch kann erblinden. ob im hohen alter, weil die augen ihre funktion aufgeben, ob durch unfälle oder seit geburt, die wahrnehmung der welt ändert sich dadurch fundamental. deshalb eine schreibanregung zu einer „blinden-story„.

wer sein leben lang blind ist, kennt bestimmte situationen überhaupt nicht und kann sich schwer in ein sehendes leben versetzen. umgekehrt ist es genauso. je nachdem ob blinde teilnehmerInnen bei der schreibgruppe dabei sind oder nicht (dies ist nicht abwegig, da es schreibgeräte für blinde gibt) ist folgende übung zu erweitern oder nicht. der hälfte der schreibgruppenteilnehmerInnen werden die augen verbunden und sie werden von der anderen hälfte für eine halbe stunde durch die umgebung der gruppenräume geführt. dabei sollten sie ihre eindrücke gedanklich sammeln. lassen sie die nicht-sehenden etwas ertasten, an dingen riechen und so weiter.

danach werden die eindrücke niedergeschrieben. sowohl die eindrücke der sehenden, als auch die der nicht-sehenden. und sollten blinde teilnehmerInnen dabei sein, sollten diese einen text verfassen, wie sie sich das sehende leben vorstellen? wo liegen die unterschiede? wie ist das zum beispiel mit der liebe auf den ersten blick? und nun das ganze noch einmal umgekehrt. anschließend werden die texte kurz vorgetragen.

im anschluss wird eine längere geschichte verfasst, in der entweder plötzliches nicht sehen können oder plötzliches sehen können eine rolle spielt. was verändert sich im alltag oder im leben der menschen? zu welchen unsicherheiten kommt es oder ergeben sich auch amüsante situationen? die geschichten werden vorgelesen und es findet eine feedbackrunde statt.

sollte dann die gruppe noch zeit haben und es am ort ein speiselokal geben, das abgedunkelt ist und in dem man von blinden bedient wird, dann könnte dies den abschluss der schreibgruppe bilden. ansonsten wäre zu überlegen, essen zu gehen, und sich während des essens gemeinsam die augen zu verbinden. die geschmackliche wahrnehmung wird garantiert eine andere sein.