zwei giganten des internets konkurrieren zur zeit um die daten der menschen, die sich im web 2.0 bewegen und digitale soziale netzwerke nutzen: facebook und google. dabei wird damit geworben, dass man doch seine biografie oder lebensgeschichte dem internet anvertrauen sollte, um sie immer wieder abrufbar parat zu haben.
google lässt momentan werbetrailer im fernsehen senden, die zeigen, wie vati die entwicklung seine kindes im netz festhält. und facebook wendet sich mit „timeline“ an seine nutzerInnen, um alle bewegungen im netz auf einem zeitstrahl zu vermerken. beide vorstellungen lassen eher zurückzucken, denn in jubelschreie ausbrechen. die effekte dieser digitalisierung des lebens sind schwer einzuschätzen. hier ein paar gedanken dazu:
es ist etwas anderes, ein klassisches fotoalbum anzuschauen und sich an die zeiten zu erinnern, als seine digitalen fotos automatisch mit allen selektierten ereignissen der damaligen zeit im kontext abzurufen. der blickwinkel, das umfeld sind vorgefertigt und ein veränderter blick auf alles, zehn oder zwanzig jahre später, wird erschwert. im web geht nichts verloren, wenn ich es nicht selber lösche. das schwelgen in der vergangenheit wird von einer digitalen nüchternheit und schärfe verdrängt, dass alle verarbeitungs- und verdrängungsmechanismen versagen müssen.
es ist etwas anderes in alten tagebüchern wieder zu lesen, als seine digitalen sozialen verknüpfungen von vor zwanzig jahren noch einmal revue passieren zu lassen. schreiberInnen der web-2.0-welt denken immer die leserInnen mit, ob private oder öffentliche, je nach voreinstellung der software. beim tagebuch schreiben wird auch gefiltert, aber nicht nach den kriterien der öffentlichkeit, sondern nach subjektiven schwerpunkten. was beschäftigte mich zu dieser zeit am stärksten? was bereitete mir schwierigkeiten oder freude?
es ist ein schutz für den menschen, nicht alle ereignisse und wahrnehmungen für alle zeit im gedächtnis zu behalten. der mensch kann verarbeiten, beiseite schieben, verdrängen, ausblenden, ignorieren und beschönigen. dies alles benötigt er, um sich weiterzuentwickeln und nicht in der vergangheit verhaftet zu sein. wenn aber kaum mehr ausgeblendet werden kann, da alles wieder abrufbar und gespeichert ist, dann bekommt der blick auf das leben beinahe autistische züge. verdrängung, ausblendung und selektion sind nur noch durch das bewusste löschen im netz möglich.
doch das hilfreiche in einer vielfältigen und angefüllten welt ist das unbewusste löschen und verarbeiten. träume oder vergesslichkeiten unterstützen im hintergrund diesen prozess. wird das nun in den vordergrund gezerrt, schwindet die entscheidungsfreiheit, mich nur mit dem vielleicht vertiefter auseinanderzusetzen, das mich gerade beschäftigt. ich bin gezwungen mich mit allem noch einmal auseinanderzusetzen. das fordert aufmerksamkeit, steigert den druck zur vollen bewusstheit und verschiebt die gedankenwelt immer wieder in die vergangenheit. ich bin zu immer mehr entscheidungen gezwungen.
es ist nicht damit zu rechnen, dass die ungeschminkte abrufbarkeit des vergangenen als bloße bereicherung und erleichterung erlebt wird. es ist eher damit zu rechnen, dass wir beim betrachten unserer lebensgeschichte immer mehr filter selbst installieren müssen, uns für filter entscheiden müssen, so wie jetzt schon die dutzenden einstellungen bei facebook oder google zu einer tagesbeschäftigung werden können. eventuell ernüchtert uns das gehörig, da es uns im nachhinein als verplemperte zeit erscheint.
ganz abgesehen von den vielen fragen nach datenschutz, informationsweitergabe an arbeitgeber, entblössungen gegen unseren willen und den konsequenzen eines stromausfalls. die digitalisierung der lebensgeschichte lässt uns vielleicht zu autistischen biografInnen und digitalen messies werden, die den in- und outputs nicht mehr gewachsen sind. aber nur vielleicht.