forschung und wissenschaft leben vom diskurs. von der auseinandersetzung um ergebnisse und erkenntnisse. was meldet die zeitung von heute? auch nach 20 jahren streiten die wissenschaftler immer noch darüber, ob es so etwas wie „multiple persönlichkeiten“ geben kann. vielleicht gibt es erst nach weiteren zwanzig jahren eine klare antwort. viele erkenntnisse in der forschung, vor allen dingen auch in der grundlagenforschung, haben nur eine beschränkte halbwertszeit.
und doch bedarf es erst einmal einer these, einer behauptung, die aufgestellt und be- oder widerlegt wird. dieses ergebnis wird dann in kontakt mit anderen erkenntnissen gebracht. und nun kann der diskurs beginnen. im hintergrund agieren die wissenschaftlerInnen als vertreterInnen dieser positionen, als in diese richtung forschende. also vertreten sie auch ihre these, die sie näher untersuchen.
das skurrile beim wissenschaftlichen schreiben ist aber, dass viele betreuende wissenschaftlerInnen von abschluss- und forschungsarbeiten der meinung sind, persönliche meinungen hätten in wissenschaftlichen schriften nichts verloren. wie soll da bitteschön ein diskurs entstehen? eine wissenschaftlicher text solle möglichst neutral formuliert sein. was für eine seltsame auffassung von wissenschaft.
wissenschaft war nie neutral, sie verfolgte immer ziele und vorstellungen. inzwischen gibt es in den verschiedensten fachgebieten untersuchungen, die zeigen, dass versuchsanordnungen und ergebnisse stark von den auffassungen der forschenden beeinflusst sind. doch diese sollen nicht offengelegt werden. höchstens im schlusskapitel des wissenschaftlichen textes darf noch ein wenig persönlich stellung bezogen werden. das mutet seltsam an und verhindert einen fruchtbaren diskurs.
da in vielen bereichen nicht mehr klar position bezogen wird, ist vielen wissenschaftlich schreibenden auch unbekannt, wie persönliche positionen in wissenschaftlichen texten zu verankern sind. sie werden als solche nicht gekennzeichnet, sondern fließen textlich im hintergrund ein. wenn zum beispiel formulierungen wie „man …“ auftauchen, dann klingt dies, wie wenn etwas vom himmel in den text gefallen wäre und keiner weiß, wo es herkommt. kaum jemand traut sich noch „ich bin der meinung, dass …“ oder „ich gehe davon aus, dass … „ zu schreiben.
wird die subjektive meinung aber nicht mehr offengelegt, wird also versucht, sie vollständig zu verschweigen, dann kann es kaum einen sinnvollen wissenschaftlichen diskurs mehr geben. denn die trennschärfe zwischen persönlichen vorlieben und objektiven erkenntnissen verschwimmt. und im laufe der zeit schleicht sich persönliches, das objektiv schillert ein. übrigens wird wissenschaft in diesen momenten sehr politisch, denn zufällig scheinen solche haltungen nicht zu sein, wenn sonst alle messungen bis auf fünf stellen hinter dem komma notiert werden. da gibt es auf der einen seite die detailversessene experimentschärfe und auf der anderen seite eine extreme diskurs-unschärfe.
empfehlenswert scheint mir: beim wissenschaftlichen schreiben kann man gern position beziehen, sie muss nur textlich klar erkennbar sein und von einem selber auch getragen werden. denn nach der veröffentlichung kann ich mich ja überzeugen lassen, dass meine persönliche vorstellung zu ändern ist und dies auch machen. nur sollte ich das dann ebenso offenlegen. leider ist es bei uns immer noch schwierig, seine meinung im wissenschaftsbetrieb, wie in der politik zu ändern. umdenken ist unerwünscht, aber eigentlich das a und o der wissenschaft.