kritische bemerkungen zum „neuen kreativen schreiben“ nach stephan porombka (1)

in der einleitung seines artikels (siehe https://schreibschrift.wordpress.com/2012/02/20/das-„neue-kreative-schreiben-ein-lese-und-diskussionstipp/) von 2009 schreibt professor stephan porombka (hildesheim): „Verabschiedet wird die Fiktion, dass es beim literarischen Schreiben um das Freilegen von Innerem und Eigentlichem geht. Dem neuen Kreativen Schreiben geht es – in Abgrenzung von alten sozial- oder kulturpädagogisch ausgerichteten Programmen zur literarischen Selbsterfahrung oder Freizeitgestaltung – um die Arbeit am Text und damit um die Effekte, die am Text und mit dem Text entstehen, wenn man schreibt. Es geht darum, diese Arbeit nicht als etwas zu verstehen, was man nebenbei betreiben kann. Das literarische Schreiben wird als eine Form von Lebenskunst verstanden, die aufwendig und fortlaufend geübt werden muss und die man durchaus auch professionalisieren kann.

hier wird eine abgrenzung formuliert, die in dieser form in der praxis nicht vorhanden ist. schaut man sich die angebote an kreativem schreiben in deutschland an, dann reicht die bandbreite von literarischen exklusiv-zirkeln über die anwendung von kreativen schreibtechniken im coaching, im biografischen schreiben oder im wissenschaftlichen kontext bis zu schreibgruppen zur freizeitgestaltung in volkshochschulen. nun wäre zu klären, ob der begriff „kreativ“ nur einer richtung, schule oder vorstellung zugeordnet werden kann oder ob er nicht ein allumfassender begriff für schöpferische, intuitive neukombinationen in verschiedenen bereichen ist. vor allen dingen die aktuelle kreativitätsforschung zeigt auf, dass zum einen der begriff „kreativität“ ein sehr unklarer und umstrittener ist, dass aber zum anderen eine untrennbare verbindung zwischen der subjektiven historizität (meinen „selbst“erfahrungen im laufe meines lebens), meiner intuition und meiner kombinationsfähigkeit besteht.

dies zeigt, dass jeder mensch kreativ sein kann, wie weit die ergebnisse nun positiv oder negativ bewertet werden, unterliegt ganz anderen kriterien, zum beispiel der gesellschaftlichen situation, den individuellen bedürfnissen nach sinneseindrücken und den moden. also geht es herrn porombka nur um die besetzung eines positiven begriffs für seine vorstellungen (denn „kreativ“ wird bei uns gesellschaftlich inzwischen positiv, wenn nicht sogar als notwendige soziale kompetenz betrachtet). und in einem handstreich wird „neues kreatives schreiben“ dem literarischen schreiben gleichgesetzt. um die abgrenzung aufrecht zu erhalten, wird postuliert, dass es nicht mehr um „selbsterfahrung“ und „sich ausdrücken“ gehe. den autor, die autorin zeige man mir, die nicht eigene erfahrungen in texte einfließen lassen. ich mache von morgens bis abends, selbst in meinen träumen „selbsterfahrung“. aus dem erfahrenen ergeben sich gedanken, ideen, geschichten. mal dienen sie mehr der verarbeitung des erfahrenen, mal weniger.

selbst der krampfhafte versuch einer objektivierung des wahrgenommenen wird immer dem persönlichen unterliegen. wie kenneth goldsmith in seinem buch „uncreative writing“ zeigt, entsteht sogar dann etwas subjektiv-kreatives, wenn man bereits vorhandenes (geschriebenes) durch copy & paste und neukombinationen „remixed“. was möchte also porombka mit seiner position erreichen? ein qualitätskriterium für kreatives schreiben einführen, das keines ist: den erfolg (gemessen an honoraren und auflagen). und gleichzeitig ersehnt er die abkehr von einer vorstellung der emotionalen tiefe beim kreativen (literarischen) schreiben. leider ist dies auch schon wieder ein sehr schwammiger begriff, der unfassbar bleibt: ab wann empfindet ein subjekt eine emotion tief? das ist und bleibt subjektiv – und kann beim schreiben so erlebt werden – ganz gleich, welche form des schreibens man wählt. man frage dutzende erfolgreiche autorInnen nach den „zehn gebote(n) des schreibens“ und bekommt antworten, die von „arbeit und fleiss“ bis zu „emotionalen abgründen“ reichen.

vielleicht muss man konstatieren, dass bei jedem schreibprozess persönliches einfließt, wie weit ich dies veröffentlichen möchte, kann ich während des schreibprozesses und der überarbeitung entscheiden. aber ich würde mich davor hüten, menschen, die nach der auffassung porombkas dem „alten kreativen schreiben“ frönen, zu unterstellen, sie würden dies nur nebenbei und unaufwendig praktizieren. da schaue man einmal auf die literarischen seiten des internets und man wird feststellen, dass die grenzen zwischen freizeitvergnügen und kreativ-arbeit mehr und mehr verschwimmen. die position porombkas hat eigentlich nicht viel mit dem (kreativen) schreiben zu tun, sondern mit einer bestimmten vorstellung des marketings von geschriebenem. dies wird als professionalisierung verkauft. auch hier ist das internet ein guter zeuge: viele geschriebene digitale produkte finden mehr leserInnen als gedruckte werke. welches werk ist nun professioneller? welcher text ist literatur und welcher nicht? welcher basiert auf „altem kreativen schreiben“ und welcher auf „neuem kreativen schreiben“?

(fortsetzung folgt)

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