Tagesarchiv: 3. April 2012

„schreibdenken“ von ulrike scheuermann – ein buchtipp

Schreiben und Denken statt Denken und dann Schreiben

In ihrem neuen Buch bricht Ulrike Scheuermann die Lanze für eine umfassende Schreibdidaktik an Hochschulen, an Schulen oder in anderen Aus- und Fortbildungsinstitutionen. Der Titel des Buches gibt dabei schon die Richtung vor „Schreibdenken – Schreiben als Denk- und Lernwerkzeug nutzen und vermitteln“.

Bis heute ist bei uns die Auffassung verbreitet, dass man erst denken und dann reden (oder hier, schreiben sollte). Doch laut Scheuermann ist das oft ein recht ideenloser, anstrengender Prozess, der durch die Umkehrung der Abläufe erfrischt werden kann. Denn wenn wir schreiben, dann denken wir gleichzeitig. Eigentlich denken wir den ganzen Tag, jede Millisekunde ein Gedanke, doch wir vertrauen unseren spontanen Gedanken wenig. In ihrem Buch zeigt die Autorin Wege auf, wie wir durch das Schreibdenken zu einer sprudelnden Quelle von Ideen und Formulierungen werden können. Der Effekt besteht darin, dass uns Schreibprozesse, die wir tagtäglich in Beruf und Wissenschaft durchlaufen, leichter fallen, unsere Texte interessanter und lesbarer werden.

Um an diesen Punkt des Schreibdenkens zu kommen, offeriert Ulrike Scheuermann ein Bündel an Informationen und praktischen Übungen. Sie beginnt mit der Erläuterung, was Schreibdenken überhaupt ist, wie es wirkt und wo es angewendet werden kann. Dann gibt sie den LeserInnen durch die Darstellung von Schreibtypen und Schreibprozessen ein Werkzeug an die Hand, die eigene (Schreib)Situation aufzuschlüsseln. Im Anschluss zeigt sie Methoden auf, die man für sich selbst oder als Lehrende in Seminaren anwenden kann. Der „Methodenkoffer“ bietet für jede Situation ein Anregung, das Schreibdenken in die eigenen Arbeits- und Schreibprozesse zu integrieren. Zum Schluss wird in dem Taschenbuch der Reihe „Kompetent lehren“ noch einmal gesondert auf die Möglichkeiten, das Schreibdenken in der Lehre anzuwenden, von der Autorin eingegangen.

Das Buch ist sehr verständlich geschrieben, die Anleitung der Übungen kann man leicht nachvollziehen und man hält einen Ratgeber im positiven Sinne in der Hand. So geht das Buch über den Gedanken des kompetenten Lehrens hinaus und animiert zum Selbstcoaching. Zum Kennenlernen des Schreibdenkens und zum Ausprobieren oder Umsetzen dieser Praxis lohnt sich der Kauf des Buches. Ich hoffe, dass sich das Schreibdenken in den Schulen und Hochschulen so etabliert, wie es Ulrike Scheuermann formuliert.

Diskussionswürdig finde ich jedoch die Begründungen, weshalb Schreibdenken sinnvoll und notwendig sei. Hier hat sich für mich ein Widerspruch ergeben. Als jemand, der sehr viele positive Erfahrungen bei Gruppenarbeiten und -diskursen gemacht hat, kann ich die Vorstellung, Gruppenideenfindungen und -diskurse würden Ausweichverhalten bestärken, nicht nachvollziehen. Es scheint mir, wie wenn es eher eine Kritik an den Lernbedingungen unserer Bildungsinstitute mit überfüllten Seminaren und Vorlesungen sein müsste. Und es scheint mir, wie wenn die Autorin dem selbst nicht vollständig folgt, da sie im Methodenkoffer wieder wunderbare Vorschläge für Gruppenarbeiten macht. Wahrscheinlich ist alles eine Frage der Umsetzungen und Absprachen in Lehrveranstaltungen. Auch hierfür macht Scheuermann sehr hilfreiche Vorschläge.

Da die Begründungen für den Einsatz des Schreibdenkens nichts an den vielen Ideen und Umsetzungsmöglichkeiten des Buches ändern, ist es ein äußerst empfehlenswertes Praxisbuch, sich anstelle des erst Denkens und dann Schreibens für das gleichzeitige Schreiben und Denken zu entscheiden.

Das Buch ist 2012 im Verlag Barbara Budrich in Leverkusen Opladen erschienen. ISBN 978-3-8252-3687-8.

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schreibpädagogik und kombinieren

man selber muss keinen finger rühren, um immer wieder neue kombinationen erleben zu können. allein die unterschiedliche zusammensetzung einer schreibgruppe oder eines seminars sorgt dafür, dass jeder durchgang einer veranstaltung anders sein wird. selbst wenn man ein angebot sehr oft durchführt gibt es meist kaum identische situationen. gut manche ergebnisse und reaktionen können sich ähneln, aber die meisten sind so unterschiedlich, dass man sich in kürzester zeit sicher ist, den verlauf einer veranstaltung nie vorhersagen zu können.

und es liegt einzig und allein an der neuen kombination verschiedener menschen. es ist erstaunlich, wie viel dies ausmacht. wenn man sich dann zusätzlich noch die freiheit gibt, direkt auf die jeweiligen bedürfnisse der gruppe zu reagieren, dann kann man am ende einer veranstaltung jedesmal woanders landen. das ist auch für einen selber interessant und spannend. denn man arbeitet sich jedesmal in neue aspekte, blickwinkel und themen ein. dadurch wird der eigene blick auf das, was gelehrt oder angeleitet wird, stetig erweitert und vielfältiger.

dies hat natürlich den effekt, dass man beim nächsten durchgang die kombination des angebots ein wenig verändert, neues einfließen lässt. und schon befindet man sich auf einer ganz anderen schiene mit der nächsten gruppe. es kann sein, dass von mal zu mal das angebot dichter und spannender wird. es kann aber auch sein, dass man so viel in die schreibgruppenleitung packt, da man selber so viel neues erfahren hat, dass die rückmeldung eindeutig ist: es ist alles Weiterlesen

wie man den spass am schreiben abgewöhnt (02)

fieses feedback

es gibt gruppen, die sich treffen, um gegenseitig texte vorzulesen. das kann erst einmal schön sein. doch in manchen gruppen gilt der ehrgeiz möglichst viele texte in grund und boden zu stampfen, sich zu richterInnen des guten geschmacks zu machen. hier sind kritik und feedback meist nicht förderlich, sondern personalisierend und motivationshemmend. bei diesen gruppen handelt es sich schon um die fortgeschrittenen-variante des fiesen feedbacks.

es fängt oft im kleinen an. auch bei diesem thema kann ich nur wieder die schule heranziehen. dort machen wir alle meist die ersten erfahrungen mit ersten textkritiken. man schreibt aufsätze und die lehrerInnen suchen nicht nur schreibfehler, sondern kommentieren und benoten den geschriebenen beitrag. viele lehrerInnen sind so sensibel, die anfänge kreativer schreibprozesse förderlich zu kommentieren. doch leider kam es immer wieder vor, dass das feedback zu viel oder zu wenig potential bemängelte und somit ein urteil sprach, das einhergehend mit einer note, spuren hinterlässt.

so berichteten mir mehrere menschen, dass lehrerInnen den kindern vor allen dingen zu viel fantasie attestierten, die den rahmen eines schulaufsatzes sprengten. was heisst in diesem zusammenhang zu viel? da galoppieren die geschichten mit einem kind davon. man kann dies auch als großes potential verstehen, das im laufe der zeit in produktive bahnen gelenkt werden könnte. und so wird nicht die fantasie im keim erstickt.

oder es wird jemandem bescheinigt, dass er in den naturwissenschaftlichen fächern ja prima sei, aber die aufsätze einfach zu kurz wären. auch hier wird nicht vorgeschlagen, einmal verschiedene formen der verdichtung auszuprobieren oder mit einer schreibtechnik nachdem alles geschrieben ist, zwischen zwei sätze immer einen weiteren satz einzuflechten und mal zu schauen, was dabei herauskommt.

abseits der schule gibt es die fiesen feedbacks jedoch ebenso. wenn sich ein kind sehr für das schreiben interessiert und überlegt, eigene texte zu veröffentlichen, dann wächst die angst vieler eltern exponentiell an, das kind könne auf die idee kommen, schriftstellerIn zu werden. das muss in den augen vieler erziehungsberechtigter verhindert werden, handelt es sich doch um einen brotlosen und etwas abseitigen berufswunsch. also wird das schreiben in der textkritik strategisch madig gemacht. es wird an den kompetenzen zur veröffentlichung von texten gezweifelt.

ähnliches kann man im berufsleben erleben, wenn man einen etwas lebhaftere, blumige sprache wählt, wenn jemand gern nebenher geschichten oder romane schreibt, wenn jemand überhaupt signalisiert lust am (kreativen) schreiben zu haben. auch diese aussagen werden gern in lächerliche gezogen. die texte werden unerbittlich einer geschäftsfähigkeitsprüfung unterzogen und alle anderen bestrebungen ignoriert.

womit ich zum schluss wieder bei den textkritiken in gruppen „gleichgesinnter“ lande. auch im internet ist in den foren für schreiblustige zu lesen, wie unverhältnismäßig manche kritik daherkommt. es wird nicht die wirkung des textes auf einen selbst diskutiert, sondern es werden wieder noten mit punkten, sternchen oder ziffern erstellt. es wird ein ranking erstellt. leider wird in den seltensten fällen wirklich zum text passend argumentiert. auch hier ist das feedback einfach nicht förderlich. schade, dass dies noch nicht einmal in kreisen von menschen geschieht, die große lust am schreiben haben.

die professionelle variante des fiesen feedbacks ist häufig die literaturkritik. erstaunlich, dass schreiben und geschriebenes solche widerstände verursacht. einzige lösung: sich davon in der eigenen schreiblust nicht behindern lassen.