was bedeutet es, beim wissenschaftlichen schreiben, stärke zu zeigen. es hat wahrscheinlich weniger mit dem schreiben zu tun, denn mit dem inhalt. oder anders formuliert, die struktur und vorgehensweisen bei wissenschaftlichen schreiben sind vorgegeben, doch das füllen der struktur kann sehr unterschiedlich verlaufen.
das fängt an bei forschungsergebnissen, die umstritten sind, die nicht dem mainstream entsprechen. oft versuchen sich die wissenschaftlerInnen schon im vorfeld gegen mögliche kritik zu wappnen. das führt dazu, dass sie alle möglichen angriffspunkte im eigenen text vorab aufgreifen. doch dadurch werden die texte so vollgepackt, dass sie nicht selten schwer zu lesen sind. zur stärke würde in diesem moment gehören, sich auf die eigenen erkenntnisse zu beschränken und es auszuhalten, dass ein aufschrei durch die fachwelt geht und viele diskurse auf einen zukommen.
außerdem könnte ein zeichen von stärke sein, die form der wissenschaftlichen veröffentlichung nicht genau einzuhalten. es gibt themen, die sich spannender und interessanter darstellen lassen, wenn man den strengen rahmen teilweise verlässt. hier landen viele wissenschaftliche schreibenden an dem punkt, dass etwas natürlich nicht populärwissenschaftlich werden sollte, doch die ergebnisse für möglichst viele verständlich vermittelt werden könnten.
spannend wird ein text, wenn auch persönliche meinungen auftauchen dürfen und die emotionale beteiligung der schreibenden zu spüren ist. dies wird im wissenschafltichen oft nicht akzeptiert. die sozial- und geisteswissenschaften erlauben hier mehr. stärke kann es sein, einen anderen weg zu beschreiten. es bleibt natürlich immer ein wagnis und man sollte es sich gut überlegen, ob man abschlüsse oder veröffentlichungen aufs spiel setzt. vielleicht besteht die möglichkeit, neben dem offiziellen vorgehen, eine zweite, lebhaftere veröffentlichung zu erreichen.
aber am stärksten scheinen mir die wissenschaftlerInnen, die keine schwierigkeit damit haben, einmal gemachte aussagen und ergebnisse selber wieder zurückzunehmen, da man festgestellt hat, dass die erkenntnisse doch nicht aufrecht erhalten werden können. den meisten scheint dies als eigene rufschädigung, dabei spricht in den wissenschaften eigentlich nichts gegen neue erkenntnisse, die vorherige widerlegen. es ist, wahrscheinlich durch weiterhin recht hierarchischen strukturen in vielen wissenschaftsbereichen, nicht üblich, eine position zurückzuziehen.
wissenschaftliches schreiben und stärke können also beim umdenken, beim andersdenken und bei der veröffentlichungsform gefunden werden.
als große – vielleicht sogar größte – stärke bei wissenschaftlichen texten empfinde ich die kunst, verständlich zu formulieren. wer hat bloß den wissenschaftlern eingeredet, dass ihre arbeit umso besser wäre, je komplizierter sie schreiben? ein beispiel: in einem beitrag über biografieforschung steht ein satz mit knapp 90 wörtern (und das ist keine ausnahme) das IST und bleibt fachchinesisch, auch nach mehrmaligem durcharbeiten. eine zumutung für die leser! so macht wissenschaft keinen spaß 😦
„Was nicht auf einer einzigen Manuskriptseite zusammengefaßt werden kann, ist weder durchdacht noch entscheidungsreif.“
Dwight D. Eisenhower