wie man den spass am schreiben abgewöhnt (15)

leider lang

man kann es vorauseilenden gehorsam nennen: die an vielen orten vermittelte aversion gegen lange texte. da soll sich kurz und knapp gehalten werden. da sollen texte verdichtet, exzerpiert und reduziert werden. und da sollen nur die prägnanten texte und geschichten gelesen werden. schnell steht in der text- und aufsatzkorrektur, dass etwas zu lange und ausufernd beschrieben wurde. schnell wird im vorfeld einer wissenschaftlichen abschlussarbeit vor allen dingen auf die exakte länge (oder kürze) durch eine vorgegebene seitenzahl einfluss genommen.

korrigierende sind oft nicht bereit, in ihren augen zu lang geratene texte oder geschichten überhaupt zu lesen, geschweige denn zu bewerten. doch damit reden sie der steten verkürzung des schriftlichen ausdrucks das wort. es werden keine epen mehr gelesen, es werden keine oden mehr betrachtet, es wird in allen lebens- und lernbereichen der trend zum kurztext beschritten.

das absurde daran ist, dass im nächsten schritt beklagt wird, dass die aufmerksamkeitsspanne von jugendlichen, aber auch von älteren menschen, zurückgehen würde. und dies ausschließlich an der intensiven nutzung des internets und überhaupt der neuen kommunikationsmittel liege. das stimmt aber so nicht. in allen lebensbereichen wird darauf gedrungen, dass geschriebenes keine zeit kosten dürfe. versuchen sie einmal, einen argumentativ stichhaltigen antrag zu stellen, in dem alles erklärt wird. ganz schnell wird man ihnen zu verstehen geben, dass dies sowieso niemand lese (ähnlich sieht es mit berichten und protokollen aus).

darum wird man überall aufgefordert, auf floskeln, standards oder vorgaben zurückzugreifen. jede geschriebene seite zu viel, die zwar manches erklären könnte, wird dem papier negativ angelastet.

der effekt? ein mensch, der gern dem schreiben auch gehalt gibt, sieht sich ins abseits gedrängt, da niemand mehr bereit ist, sein geschriebenes zu lesen. dies meinte ich mit vorauseilendem gehorsam. denn diese entwicklung ging dem digitalen schreiben voraus. neben fantasyromanen darf eigentlich nichts mehr „lang“ sein. obwohl es gerade den gegenteiligen trend gibt: immer dickere bücher werden veröffentlicht.

doch vorher muss jemand den mut aufbringen, sich durch die abwertung seiner schriftlichen arbeiten, da sie zu lang sind, zu kämpfen und dies auszuhalten. das schaffen die wenigsten. die meisten „lang“schreiberInnen geben vorher auf und werden von den „kurz“leserInnen regelmäßig drangsaliert. nur noch in kleinen nischen des internets wird der lange, ausführliche text geschätzt. auf keinen fall aber an den orten, die über die zukunft der menschen bestimmen. reduzierte aufmerksamkeitsspannen sind nur ein nebeneffekt der entwicklung. ein anderer nebeneffekt ist es, dass viele menschen den spass am schreiben verlieren.

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Eine Antwort zu “wie man den spass am schreiben abgewöhnt (15)

  1. Ich habe den gesamten Text gelesen und, was ich hoffen möchte, auch verstanden. :3 Meine Artikel-Texte der Sorte „Tagebuch“ sind auch so lang wie ich es für richtig halte. Zwar wiederhole ich mich ständig, indem ich in jedem Artikel ausufernd erzähle, dass ich einkaufen war, aber ich sehe mein eigenes Tagebuch-Blog eh als Selbsterkenntniss. In Folge dessen bin ich nur bedingt von den zufällig vorbeiklickenden Lesern abhängig. Ich schreibe, weil ich mich befreien will, nicht – und wenn, dann nur bedingt – um meinen Lesern zu gefallen. 🙂

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