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wie man den spass am schreiben abgewöhnt (15)

leider lang

man kann es vorauseilenden gehorsam nennen: die an vielen orten vermittelte aversion gegen lange texte. da soll sich kurz und knapp gehalten werden. da sollen texte verdichtet, exzerpiert und reduziert werden. und da sollen nur die prägnanten texte und geschichten gelesen werden. schnell steht in der text- und aufsatzkorrektur, dass etwas zu lange und ausufernd beschrieben wurde. schnell wird im vorfeld einer wissenschaftlichen abschlussarbeit vor allen dingen auf die exakte länge (oder kürze) durch eine vorgegebene seitenzahl einfluss genommen.

korrigierende sind oft nicht bereit, in ihren augen zu lang geratene texte oder geschichten überhaupt zu lesen, geschweige denn zu bewerten. doch damit reden sie der steten verkürzung des schriftlichen ausdrucks das wort. es werden keine epen mehr gelesen, es werden keine oden mehr betrachtet, es wird in allen lebens- und lernbereichen der trend zum kurztext beschritten.

das absurde daran ist, dass im nächsten schritt beklagt wird, dass die aufmerksamkeitsspanne von jugendlichen, aber auch von älteren menschen, zurückgehen würde. und dies ausschließlich an der intensiven nutzung des internets und überhaupt der neuen kommunikationsmittel liege. das stimmt aber so nicht. in allen lebensbereichen wird darauf gedrungen, dass geschriebenes keine zeit kosten dürfe. versuchen sie einmal, einen argumentativ stichhaltigen antrag zu stellen, in dem alles erklärt wird. ganz schnell wird man ihnen zu verstehen geben, dass dies sowieso niemand lese (ähnlich sieht es mit berichten und protokollen aus).

darum wird man überall aufgefordert, auf floskeln, standards oder vorgaben zurückzugreifen. jede geschriebene seite zu viel, die zwar manches erklären könnte, wird dem papier negativ angelastet.

der effekt? ein mensch, der gern dem schreiben auch gehalt gibt, sieht sich ins abseits gedrängt, da niemand mehr bereit ist, sein geschriebenes zu lesen. dies meinte ich mit vorauseilendem gehorsam. denn diese entwicklung ging dem digitalen schreiben voraus. neben fantasyromanen darf eigentlich nichts mehr „lang“ sein. obwohl es gerade den gegenteiligen trend gibt: immer dickere bücher werden veröffentlicht.

doch vorher muss jemand den mut aufbringen, sich durch die abwertung seiner schriftlichen arbeiten, da sie zu lang sind, zu kämpfen und dies auszuhalten. das schaffen die wenigsten. die meisten „lang“schreiberInnen geben vorher auf und werden von den „kurz“leserInnen regelmäßig drangsaliert. nur noch in kleinen nischen des internets wird der lange, ausführliche text geschätzt. auf keinen fall aber an den orten, die über die zukunft der menschen bestimmen. reduzierte aufmerksamkeitsspannen sind nur ein nebeneffekt der entwicklung. ein anderer nebeneffekt ist es, dass viele menschen den spass am schreiben verlieren.

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schreibpädagogik und arbeit

schreibpädagogik ist nichts anderes, als der versuch, menschen über die verschiedensten wege zum schreibprozess anzuleiten. am umfassendsten kann man dies in einer schreibgruppen-arbeit verwirklichen. dabei wird man als schreibpädagoge zur anleitenden person der gruppe. und dies bedeutet, sich gedanken über die anleitung einer schreibgruppe machen zu müssen. denn auch in diesem arbeitsfeld gibt es sehr verschiedene vorstellungen von der praktischen umsetzung.

generell, wie bei allen anderen (lern)gruppen, kann man eine grobe vorplanung vornehmen, aber nie abschätzen, wie die einzelne gruppe sich zu den vorschlägen verhält. nun gibt es zwei möglichkeiten: stringent die eigenen vorgaben zu verfolgen und durchzusetzen (zum beispiel, wenn es sich um die umsetzung von lehrplänen handelt) oder dem eigentlichen gruppenprozess mehr gewicht zu geben und auf jede gruppe zugeschnitten das angebot zu verändern (mit der folge, dass die lernergebnisse einer gruppe sehr verschieden ausfallen).

um es einmal platt zu formulieren: die stringenz kostet weniger planungsaufwand dafür aber mehr durchsetzungsaufwand. die ausrichtung auf die gruppe kostet dafür mehr planungsaufwand, dafür ermöglicht sie aber individuelles lernen, das für die anleitung weniger energie benötigt. insgesamt benötigen aber beide vorgehensweisen die aktive auseinandersetzung mit den teilnehmenden durch die schreibpädagogInnen. dies ist arbeit. die wertigkeit sozialer und pädagogischer berufe ist in unserer gesellschaft nicht sehr hoch angesiedelt. es wird davon ausgegangen, dass kommunikation zwischen menschen keinen sehr hohen aufwand bedeutet.

die wissenschaft spricht da eine andere sprache. nimmt man einmal den dienstleistungssektor, dann hat man inzwischen festgestellt, dass ständige freundlichkeit und das eingehen auf die bedürfnisse der anderen, ungemein stresst. grund dafür ist, dass die eigenen emotionen in schach gehalten werden müssen, da sonst die gefahr, einen kunden zu verlieren, groß ist. auch die pädagogischen tätigkeiten verlangen Weiterlesen

schreibpädagogik und coolness

gruppen verleiten manchmal zur übertriebenen selbstdarstellung. kreative gruppen fördern diesen prozess. das kann erst einmal sehr unterhaltsam sein, und es gehört zu gruppenprozessen auch dazu, aber es wird dann lästig, wenn sich die anderen gruppenmitglieder nicht zur wehr setzen oder wenn sich eine gruppe keine regeln gibt. es entwickeln sich alpha-positionen von einzelnen gruppenmitgliedern. früher wurde diese rolle meist von männern besetzt, heute kann man das nicht mehr so eindeutig sagen. die alpha rolle kann sowohl von teilnehmerInnen einer gruppe eingenommen werden als auch von der gruppenleitung.

es soll hier klar unterschieden werden zwischen der rolle der aktiven teilnahme an einem gruppengeschehen und der rolle der coolen führerschaft. bei schreibgruppen sind diese führungsrollen schwieriger einzunehmen, da durch das schreiben viel allein und eigenständig gearbeitet wird, also alle teilnehmerInnen nicht in einem ständigen kommunikativen austausch miteinander stehen. zudem gibt es meist die regel, dass alle teilnehmerInnen ihren text vortragen, was das aufbauen einer hierarchie schwerer macht.

aber natürlich kann es auch in schreibgruppen die teilnehmerInnen geben, die aus ihrer vorstellung vom schöpferischen und künstlerischen die haltung ableiten, dass ihre beiträge so einzigartige seien, dass sie viel (zeit)raum einnehmen dürfen, dass sie nur positive rückmeldungen verdienen und dass ihre wortbeiträge, zum beispiel beim feedback, die einzigen treffenden interpretationen liefern. dies kann schnell zu diskussionen führen, die die ganze gruppe beschäftigen, aber keine weiterentwicklung der schreibprozesse fördern.

die überzeugung der außergewöhnlichkeit geht nicht selten mit einer (lauten) coolness einher. beim film kann man dies zum beispiel schön am verhalten auf dem roten teppich festmachen. in schreibgruppen ist das eher an anderen punkten feststellbar. wenn jemand sich bei leserunden stetig vordrängt, wenn überbetont vorgetragen wird oder wenn stetig scherze über die beiträge Weiterlesen

wund-starr-krampf (05)

tagesschau in 100 sekunden

wir leben in einer schnelllebigen zeit, wie man so schön sagt. manche sprechen von einer beschleunigung der kommunikation. dabei können wir nicht schneller sprechen als wir sprechen und wir können auch nicht schneller lesen als wir lesen. aber wir können verkürzen, komprimieren und in ein zeitfenster dadurch doppelt so viele informationen unterbringen.

die schwierigkeit bei verkürzungen besteht darin, dass gehalt und information reduziert werden auf ein minimum. nun sendet die ard seit einiger zeit neben ihrem üblichen nachrichtenangebot „die tagesschau in 100 sekunden“. ich rätsle seitdem, wer mit diesen infohäppchen irgendetwas anfangen kann. es scheint, wie wenn die ard sich den nachrichten bei „kabel eins“ oder „pro sieben“ annähert. in 100 sekunden passen maximal fünf meldungen und das wetter. die meldungen müssen jeweils in ein paar sätzen abgehandelt sein und sind einzig ein aktualitätsupdate.

in der literatur und in der werbung mag der spruch lauten: in der kürze liegt die würze. auf den nachrichtensektor lässt sich das einfach nicht übertragen. wie hier vor kurzem schon einmal angemerkt, schaffen wir uns unsere aufmerksamkeitsstörungen selber, indem wir dem zuschauer nicht mehr zutrauen, informationen, die länger als 20 sekunden sind, aufnehmen zu können. eine andere erklärung für die 100 sekunden nachrichten finde ich nicht.

warum muss sich ein öffentlich-rechtlicher sender zum vorreiter der häppchen-kultur machen? und da sind sie schon wieder: die einschaltquoten. außerdem ist es ja nur ein zusätzliches angebot zum üblichen nachrichten-angebot. dann kann man es auch weglassen und dafür lieber den filmabspann vollständig zeigen, ihn nicht verkürzen und beschleunigen. vielleicht kann man auch die täglichen plauderrunden im öffentlich-rechtliche rundfunk verkürzen und durch knackige interviews ersetzen. man wünscht sich klartext und nicht geschwindigkeit. so hatte ich bis jetzt auch den auftrag an die sendeanstalten verstanden.

mein computer und ich – eine umgangslehre (22)

aufmerksamkeit

nicht die technik ist das problem, sondern die propagierung des multitaskings als lösung für zeitknappheit und beständige erreichbarkeit. arbeitgeber, die verlangen, dass man ein handy bei sich führe, damit man immer erreichbar sei, fördern die unkonzentriertheit ihrer mitarbeiter. denn die aufmerksamkeit muss auf mehrere dinge gleichzeitig gerichtet sein. klingelt das handy, trifft eine mail ein oder empfängt man eine sms, werden andere tätigkeiten unterbrochen. nimmt man dann noch das großraumbüro, dann kommen zusätzliche geräusche und störungen ins spiel, die auch den arbeitsprozess beeinflussen.

gleichzeitig wird aber beklagt, dass viele menschen nur noch über eine geringe aufmerksamkeitsspanne verfügen und keine geduld mehr haben, längere texte zu lesen. dieses defizit wird am computer festgemacht, da das gerät zu viel gleichzeitig anbiete. nicht dabei bedacht wird aber, dass ich auch am computer alles störende abschalten kann, viel eher als ein großraumbüro zur ruhe zu verpflichten oder meinem chef nicht zu antworten. nicht der computer, nicht das internet erheben das multitasking zum lebenskonzept, sondern die vorstellungen vom perfekten mitarbeiter.

fluglotsen werden zum beispiel nach nicht allzu langen zeitintervallen in eine pause geschickt. vorher mussten sie konzentriert multitasken. wenn keine pausen eingelegt werden, ist die gefahr von fehlern zu groß. da wir aber nicht alle flugzeugabstürze verursachen, sind wir oft auch nicht mehr bereit (und fähig) pausen einzulegen. auch dieses phänomen wird der verführungsmacht der neuen medien zugeschrieben. wie wenn wir geräten hilflos ausgeliefert wären und uns nicht mehr zu ihnen verhalten können.

gelinde geschrieben ist das quatsch. wir können uns auch zu anderen menschen verhalten, die uns nerven. wir können sie stehen lassen, ihnen ausweichen oder ihnen sagen, sie sollten jetzt einfach mal die klappe halten. doch anscheinend fällt uns dies leichter, als einen computer auszuschalten und das internet zu verlassen.

wer ständig in habacht-stellung lebt und arbeitet, da jederzeit eine nachricht eintreffen oder ein anruf kommen könnte, der kann irgendwann diesen zustand nur noch schwer verlassen. es fällt von mal zu mal schwerer, seine aufmerksamkeit Weiterlesen

wortklauberei (98)

„einschaltquote“

die einschaltquote meiner kaffeemaschine liegt relativ hoch bei mindestens zwei mal am tag. bei manchen menschen wird die kaffeemaschine nie ausgeschaltet im laufe eines tages. statistisch betrachtet zählt das öftere an- und ausschalten eventuell mehr als das einmalige anschalten. aber es könnte sein, dass die zeitdauer der stromversorgung erfasst wird und somit in die statistik die nutzungsdauer mit eingeht. nun habe ich damit aber immer noch nicht erfasst, wer mehr kaffee trinkt.

ungefähr genauso unausgegoren scheinen einem die einschaltquoten des fernsehens. gut, der perfekte statistiker, versucht möglichst viele informationen vom zuschauer zu erhalten (so zum beispiel die minütliche erfassung des ein- und ausschaltverhaltens). dann gibt es noch befragungen, previews und testgruppen, nur um sehen, funktioniert ein programm, eine sendung oder nicht. denn danach können dann rankings der beliebtheit und der kaufkraft ermittelt werden.

der begriff „einschaltquote“ soll das zuschauerverhalten in prozenten abbilden. aber wie das mit quoten so ist (siehe „die frauenquote“) kann mit der zahl keine qualitative aussage getroffen werden. der beginn des irakkriegs hatte weltweit eine hohe einschaltquote, ebenso der tsunami in japan, aber gleichzeitig hatten beide eine tragische komponente. das wort einschaltquote erscheint plötzlich ebenso bedeutungslos oder aussage-un-kräftig wie anwesenheitslisten in lehrveranstaltungen.

was auch der beste sozialpsychologe experimentell nicht erfassen kann, ist die tagesform der zuschauerInnen. nehmen sie überhaupt wahr, was da über den bildschirm flimmert. da wird zum beispiel immer die bedeutung der jungen kaufkräftigen generation für die werbeeinnahmen ins feld geführt. zynisch formuliert, leidet diese generation vor allen dingen unter aufmerksamkeitsdefiziten. ob die die werbung noch wahrnehmen? vielleicht brüllen einen deswegen die werbetrailer so an, um das defizit zu kompensieren 😉 .

auch nicht erfasst wird die qualität des alternativprogramms. heutzutage werden wir zur entspannungszeit des abends gequält mit miesem programm und wählen wahrscheinlich zwischen den kleineren übeln. doch das fragt niemand ab, wenn zwischen den casting-shows geswitcht wird. die tollen filme und dokumentationen, die wahrscheinlich mehr menschen interessieren würden, werden in die nacht verbannt. der kaufunlustige intellektuelle nachtmensch ist dann unterwegs. aber selbst dem fallen bei nicht vorherrschendem aufmerksamkeitsdefizit irgendwann in der nacht die augen zu. die einschaltquote wird höher sein, als die vielen sofaschläfer vermuten ließen.

ich will ab sofort die ausschalt- oder einschlafquote mitgeteilt bekommen!

„die gebeugte stadt“ – ein lesetext

er wandelte durch die strassen und seine angst wurde unbeschreiblich. lang war er nicht mehr hier gewesen und am anfang war ihm auch nichts aufgefallen. doch irgendwann spürte er, dass ihm etwas fehlt. ganz gleich, wo er sich hin bewegte, irgendwas irritierte ihn. und dann fiel es ihm auf: die menschen auf den strassen blickten ihn nicht mehr an.

seitdem er bemerkt hatte, dass niemand mehr den augenkontakt sucht, seitdem schaute er seine mitmenschen noch intensiver an. und je länger er wieder in der stadt war, um so stärker fröstelte es ihn. langsam stieg die angst in ihm hoch, dass sich etwas geändert hatte, und er hatte es nicht mitbekommen.

da machte er es sich zur aufgabe, jeden tag auf die strasse zu gehen, herumzuwandeln und sich umzuschauen. vielleicht konnte er herausfinden, was seine stadt so verändert hatte. gerade einmal zwei jahre war es her, dass er das letzte mal hier war.

so steht er nun wieder auf der strasse vor seinem haus. beim blick nach links fällt ihm eine frau an der bushaltestelle auf, die gebeugt an der informationssäule steht und nur ab und zu den blick auf die strasse wirft, um den herannahenden bus zu sehen. gerade als er den weg rechterhand einschlagen will kommt ein junger mann von links, kreuzt seinen weg und schreitet gebeugt nach rechts an ihm vorüber. er denkt sich, dem muss ich folgen, ich laufe ihm einfach hinterher, vielleicht kann ich feststellen, was ihn so bedrückt erscheinen lässt.

während er dem jungen mann folgt, bemerkt dieser das anscheinend überhaupt nicht. der gebeugte überquert an diversen ampeln strassen und steuert zielstrebig auf den u-bahnhof zu. selten blickt er für einen moment nach links oder rechts, eigentlich nur, wenn er sich nicht sicher ist, ob nicht doch ein auto kommen und ihn erfassen könnte. dann geht der mann weiter gebeugt seines weges. er folgt ihm die treppen in den bahnhof hinab, folgt ihm auf den bahnsteig und stellt sich neben ihn, um vielleicht einen blick erhaschen zu können.

nichts, auch auf dem bahnsteig hebt der mann kaum seinen kopf, nur kurz, als die bahn einfährt und er in den waggon steigt. er setzt sich neben den mann, der nun mit gebeugtem kopf auf seinem sitz sitzt. er blickt sich um und seine angst bekommt weiter futter. überall sitzen gebeugte menschen. auch in der u-bahn lässt kaum jemand Weiterlesen

web 2.0 und kuschelig

das internet ist zwei auf einmal: kuschelig und gruselig. da gibt es die sozialen netzwerke in der digitalen welt, die auf der einen seite kontakte intensivieren können, die aber auf der anderen seite gern mal die kommunikation in eine wortwahl verrutschen lassen, die der situation nicht angemessen ist. was bedeutet es „befreundet zu sein, zu „gruscheln“ oder auch nur einen smiley zu erhalten?

da man sich im web 2.0 nur virtuell begegnet, bedeutet es erst einmal gar nichts. erst im laufe der zeit, kann man feststellen, wie ernsthaft bestimmte emotionen und emoticons gemeint sind. und wirkliche gewissheit erlangen alle erst bei face-to-face-kontakten. das macht es teilweise leichter, im netz kuscheliges von sich zu geben, dann aber auch wieder schwerer, es für bare münze zu nehmen.

so balanciert die kommunikation beständig zwischen der freude über nähe und zuneigung und den gedanken im hinterkopf, wie glaubhaft das alles ist. dies führt zu so zwiespältigen reaktionen, dass zwar beinahe alle nutzerInnen über die abläufe bei facebook lästern und schimpfen, es aber gleichzeitig intensiv nutzen. man kann davon ausgehen, dass ein großer teil der nutzerInnen der meinung ist, sie würden ganz anders mit den sozialen netzwerken umgehen, als der rest. sie wären selbstreflektierter und kritischer.

und dann packt sie doch plötzlich die mitteilungslust über dinge, die sie im realen leben nicht der ganzen welt mitteilen würden. denn wir alle sind gezwungen, sobald wir uns im web 2.0 bewegen und aufmerksamkeit möchten, uns darzustellen. ob durch bilder, worte oder links, es bleibt uns gar nichts anderes übrig. und es würde nicht viel sinn machen, sich im web 2.0 zu platzieren und nicht den wunsch zu verspüren, dass Weiterlesen

schreibpädagogik und weinen

es kann auch in schreibgruppen vorkommen, dass teilnehmerInnen in tränen ausbrechen. entweder, da sie texte über ereignisse verfasst haben, die ihnen sehr nahe gehen, oder, da sie sich durch rückmeldungen und kritiken sehr angegriffen und hilflos fühlen. dieser starke ausdruck von gefühlen kann andere teilnehmerInnen erschüttern und verunsichern. in diesen momenten ist die schreibgruppenleitung als ausgleichendes moment gefragt.

es geht vor allen dingen darum, in einer gruppe auch raum für emotionale ausdrücke zu geben. kein mensch ist davor geschützt, dass ein eigener text oder einer von jemand anderem so berührt, dass die tränen fließen. wichtig scheint mir, dass diese reaktion zwar beachtet aber nicht überbewertet wird. es ist für teilnehmerInnen unangenehm, wenn sich beim weinen alle anderen teilnehmerInnen auf sie stürzen, versuchen sie zu trösten und gute ratschläge haben.

die schreibguppenleitung sollte kurz unterbrechen, nachfragen ob sie weiterlesen wollen, wenn sie bei eigenen texten weinen, oder nachfragen, ob sie den raum verlassen wollen, wenn sie bei texten von anderen schreibgruppenteilnehmerInnen weinen. dann sollte aber im normalen vorgehen weiter verfahren werden. zu viel aufmerksamkeit in solchen momenten gibt dem weinen schon wieder den beigeschmack Weiterlesen

web 2.0 und lange texte

immer wieder kommt die diskussion auf, ob im web 2.0 lange texte angebracht sind. die zeichenreglementierung von twitter und sms reduziert meldungen und texte auf ein minimum. an die kurz-kurz-meldungen gewöhnt, empören sich manche menschen im netz über längere berichte. damit einher geht seit jahren die entwicklung in zeitungen und zeitschriften, reportagen oder artikel zu begrenzen. dies war erst einmal nicht der aufmerksamkeitsspanne der leserInnen geschuldet, sondern es war den kosten und bezahlungen der journalistInnen geschuldet, die nach zeilen bezahlt wurden.

da wurden die bilder größer, die überschriften nahmen mehr platz ein und der zeilenabstand wuchs beim relaunch an. das internet verstärkte mit seinen übertragungsgeschwindigkeiten und seinen überblicksstrukturen den hang zur kurzversion. ob es gewöhnung ist oder das so genannte „aufmerksamkeitsdefizitsyndrom“, das anscheinend um sich greift, das internet verkürzt die geduld, ein thema ausführlicher zu betrachten. dem motto „zeit ist geld“ folgend wird an allen ecken und enden suggeriert, dass in der kürze die würze liege.

das steht meiner ansicht nach im widerspruch zu einer immer komplexeren welt, die ausführliche analysen, intensive diskurse und in die tiefe gehende untersuchungen benötigt, um sie überhaupt verstehen zu können. die schnell-schnell-haltung verstärkt die gesellschaftlichen schwierigkeiten, da viele lösungsvorschläge nur noch „just-in-time“ gemacht werden und wenig fruchten. es würde verwundern, wenn es in dieser welt der steten nachbesserungen nicht eine gegenbewegung geben. denn das internet bietet nicht nur geschwindigkeit, es bietet auch preiswerten (schreib)platz. seit dem html-code und den blogs benötigt text nicht mehr viel speicherkapazität.

und so widmete sich die süddeutsche zeitung dieser gegenbewegung in einem artikel und macht auf diverse seiten im internet aufmerksam, die es sich zur aufgabe gemacht haben, längeren texten genug raum zu geben. auch auf dem zeitschriftenmarkt gibt es schon seit einiger zeit eine gegenbewegung, die wieder auf ausführliche lektüre baut. da man sowieso nicht alles, was geschrieben wird, lesen kann, ist es eher eine frage der auswahl. die kann jede(r) für sich treffen. hier der artikel der sz: http://www.sueddeutsche.de/medien/medien-im-digitalen-zeitalter-journalismus-extralang-1.1135014 .

„verirren“ von kathrin passig und aleks scholz – ein buchtipp

wir orten, wir können geortet werden, wir planen autos, die selber ihren weg finden, wir kontaktieren beständig den nächsten sendemasten, wir nutzen gps und umts, wir erstellen routen bei google-maps und schauen uns die reiseziele vorher schon einmal digital an. wir wähnen uns auf der sicheren seite, unseren weg zu finden und das ziel schnellstmöglich zu erreichen.

kathrin passig und aleks scholz machen uns mit ihrem buch „verirren – eine anleitung für anfänger und fortgeschrittene“ einen gehörigen strich durch die rechnung. wir irren uns, wenn wir meinen, uns nicht mehr verirren zu können. wir täuschen uns, wenn wir meinen, alles unter kontrolle zu haben. und das ist schön. die beiden autoren versuchen den vorteil des verirrens herauszuarbeiten. so wie früher das flanieren ein ausdruck des müssiggangs war, so könnte heute das verirren diese rolle einnehmen.

warum nicht einmal alle sicherheiten sausen und sich treiben lassen? die welt wird bunter, man wird aufmerksamer und man entdeckt links und rechts des weges vieles, was man sonst übersehen hätte. ob in metropolen oder landschaften, wir können uns, wenn wir wollen überall verirren. es handelt sich beim absichtlichen verirren um die mutigere aber auch realistischere variante. denn selbst mit allen schutzmechanismen vor dem verirren, geschieht es uns doch. und dann sind wir hilflos, da wir nicht damit gerechnet haben.

viele gehen davon aus, dass man sich heute nicht mehr verirren muss, dass man nur jedes hilfsmittel zu nutzen braucht, um auf der sicheren seite zu sein. sie sind nicht darauf vorbereitet, wenn sie sich einmal verirren. das lässt sie in panik geraten und hat teilweise verheerende auswirkungen. dieses belegen kathrin passig und aleks scholz mit vielen beispielen. und sie geben tipps, wie verirren bewältigt werden kann, wie man eventuell doch noch sein ziel findet, bevor man auf der strecke bleibt.

ein teilweise amüsantes aber auch hilfreiches buch in einer unüberschaulichen welt mit einer großen sicherheitsindustrie, die die angst vor dem verirren nutzt. wer auf entdeckung gehen möchte, findet das buch, wenn ich mich nicht irre bei rowohlt berlin verlag, erschienen 2010. ISBN 978-3-87134-640-8

machen internet und web 2.0 dumm?

die süddeutschen zeitung machte gestern durch alex rühle auf den artikel von nicolas carr aufmerksam, der sich im „the atlantic“ die frage stellte, „is google making us stupid„. der artikel der sz ist hier zu finden: http://www.sueddeutsche.de/kultur/artikel/878/187284/ . und der artikel von nicolas carr ist hier zu finden: http://www.theatlantic.com/doc/200807/google .

erinnert diese frage nicht an die diskussionen, die immer stattfinden, wenn ein neues medium aufkommt? als der erste film gezeigt wurde, wurde vor den folgen für die psyche gewarnt, der fernseher wurde oft genug verteufelt und selbst der buchdruck sollte die gefahr in sich bergen, die menschen schlecht zu machen. carr fragt sich nun, inwieweit das internet seine hirnfunktionen verändere. er habe nicht mehr die geduld für längere texte und könne nur noch informationshäppchen konzentriert lesen.

das mag schon sein, dass sich die lesegewohnheiten durch den beständigen gebrauch des internet verändern. faszinierend finde ich, dass das internet dafür verantwortlich gemacht wird, liegt die ursache doch ganz woanders. was carr schreibt würde auf das auto übertragen bedeuten: ich kann gar nicht mehr laufen, da es heute das auto gibt. menschen geben die verantwortung für ihre handlungen an die maschinen ab. das ist die crux der heutigen zeit. würden sie nicht den predigten des ökonomischen erfolges glauben und meinen, sie müssten über jedes detail, das in der welt geschieht informiert sein, sie müssten dazu noch den film auf youtube gesehen haben und sie müssten sich darüber in ihrem blog mit anderen ausgetauscht haben, gäbe es ein anderes internet.

warum strebt niemand das ziel an, obwohl es das sowohl inzwischen wieder bei zeitungen und zeitschriften gibt, zu langen texten zurück zu kehren. ich kann mein surfen und lesen auch auf homepages und blogs konzentrieren, die mir ausführliche informationen und lange texte zur verfügung stellen. aber viele haben im hinterkopf, dass sie noch zwanzig termine an diesem tag haben und drei partys besuchen machen. der mensch arbeitet beständig an seiner effektivität und schafft sich erst in der folge so ein internet, wie es jetzt existiert.

zumindest hat carr eine interessante diskussion angestossen, die sich auch im vorfeld schon durch die wissenschaften zog. ein beispiel sei hier aufgezeigt. und ein blog, der sich dem artikel von carr widmet befindet sich hier. es wäre schön, wenn die menschen bereit wären ihren alltag zu entschleunigen, um nicht das gefühl zu haben, wie ein computer zu denken 😮