Schlagwort-Archive: bedürfnisse

schreibpädagogik und alter

das alter spielt in schreibgruppen erst einmal keine rolle. ganz gleich welchen alters jemand ist, kann man schreiben und vorlesen, kann man auch mitmachen. das ist eigentlich das schöne an schreibgruppen, dass sie altersungebunden und generationsübergreifend tätig sein können. und doch wäre es ein trugschluss zu glauben, dass das alter keine rolle spielt. so wie in anderen sozialen zusammenhängen kann man auch weiterhin (heute etwas versteckter als früher) unterschiede in den generationen ausmachen.

es wird auch in schreibgruppen die ungeduld der jugend gegenüber dem alter geben. und es wird ebenso die belehrende weisheit des alters gegenüber den jungen menschen geben. darum ist die leitung einer schreibgruppe dazu aufgerufen, zwischen den verschiedenen untergruppen in einer schreibgruppe (es kann auch ganz andere zusammenschlüsse geben) zu vermitteln. aber die große chance dabei ist, überhaupt einen austausch zwischen den generationen zu ermöglichen und mag es auf der kreativen ebene sein.

denn altersgruppen können sich auch gegenseitig in erstaunen versetzen. so können jüngere menschen feststellen, dass die älteren neben ihnen in ihrer jugend auch rebellisch, ungegduldig und unerbittlich waren. die älteren der gruppe werden feststellen, dass die anliegen der jüngeren berechtigt und längst nicht so oberflächlich sind, wie sie immer annahmen. letztendlich geht es in gemischten schreibgruppen um nichts anderes, als gegenseitige vorurteile abzubauen. warum diese bei uns immer noch so vertreten sind? weil sowohl jüngere als auch ältere in unserer gesellschaft nicht ernst genommen werden und sich somit auch kaum gehör verschaffen können. beide gruppen werden nicht wahrgenommen und bleiben somit unbekannt.

vielleicht kann eine schreibgruppe von jüngeren und älteren menschen genau diese ungerechtigkeit zum thema machen. auf der einen seite wird erklärt, dass jungen menschen mehr verantwortung und mitsprache ermöglicht werden soll, aber gleichzeitig werden sie verwaltet und verwahrt, wie lange nicht mehr. sie werden eingeengt und bevormundet. auf der anderen seite wird älteren menschen die teilhabe am arbeitsleben und am lebenslangen lernen schmackhaft gemacht, doch wenn es darauf ankommt, dann werden auch sie verwahrt und bevormundet.

warum also nicht texte gegen bevormundung und verwahrung verfassen und zur lesung die generation der 30- bis 60-jährigen einladen? oder es ergibt sich gleich von anfang an, dass auch die gruppe der mittelalten in der Weiterlesen

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kreatives schreiben und wünsche

zum thema wünsche schon öfter erwähnt: die gute fee. sie kann beim kreativen schreiben eine zentrale figur sein. angefangen beim klassischen märchen, in dem irgendwann eine fee auftaucht und einem wünsche erfüllt, bis zu geschichten, in menschen sich die fee vorstellen oder es einen menschen gibt, der sich wie eine gute fee verhält. das spannende in diesem zusammenhang ist gar nicht die fee mit ihren fähigkeiten (die man als gebildeter mensch natürlich sofort in frage stellt 😉 ), also, das spannende ist nicht die fee, sondern es sind die wünschen, die die menschen haben.

was wünscht sich jemand, wenn er drei wünsche frei hat? das gewiefte kind wünscht sich natürlich als erstes so viele wünsche erfüllt zu bekommen, wie es notwendig ist. doch die fee lässt sich nicht überrumpeln und besteht darauf, nur drei wünsche zu benennen. nun, was erscheint einem so notwendig, dass es auf alle fälle in erfüllung gehen sollte? in diesem moment kann man mit dem kreativen schreiben ganz schnell märchen für erwachsene schreiben – über die doppelbödigkeit von wünsche, über wunschloses glücklichsein, über wirklich not-wendendes im leben, über die ungerechtigkeit der welt und vieles mehr.

die person, die die fee erfunden hat, die hat schon früh den pädagogischen wert der rückbesinnung auf das wesentliche und der wirkung von heilsversprechen erkannt. wünsche (zumindest im deutschsprachigen zusammenhang) haben auch immer etwas unverschämtes, etwas leistungsverweigerndes. wünsche sollen erfüllt und nicht erbracht werden. da dies schnell gesellschaftszersetzende tendenzen hervorrufen kann 😯 , kommt die gute fee nicht zu jedem. vorher muss also schon etwas Weiterlesen

schreibberatung und störung

in schreibberatungen zeigt sich häufig, dass bei den ratsuchenden keine schreibblockaden vorliegen, sondern durch das existierende umfeld ständige störungen während des schreibprozesses das schreiben erschweren. in der folge geht es darum, was zu tun ist, um möglichst störungen zu vermeiden. was ist denn nun eine störung beim schreibprozess? hier ein paar beispiele:

  • telefonklingeln
  • ein computer im internet-modus, der jede neu eingegangene mail meldet (entweder lautstark oder durch zeichen auf dem bildschirm)
  • nachbarschafts- und baulärm (oder anderer lärm)
  • lebensabschnittsgefährtInnen, die das schreiben nicht ernst nehmen und davon ausgehen, man unterbreche das schreiben bei fragen oder anrufen jederzeit.
  • kinder
  • spontane besuche von bekannten und freundInnen
  • kollegInnen, die mal kurz im büro vorbeischauen
  • haustiere, die versorgt werden wollen
  • hunger und durst

die liste kann je nach persönlichen lebenssituationen und schreibanlässen erweitert werden. in der beratung stellt sich die frage, wie mit den störungen umgegangen werden kann. dabei landet man oft bei dem thema, wie man sich für ein eigenes interesse oder eine eigene tätigkeit freiraum schaffen kann. man muss vor allen dingen den mut aufbringen, die eigenen bedürfnisse klar zu formulieren. auch in diesem kontext sind beraterInnen gefragt: „mut aufbringen“.

denn man kann nicht erwarten, dass mitmenschen ein gleich großes interesse für die eigenen vorlieben und arbeitsweisen entwickeln. aber man darf eine störungsfreie zeit einfordern, in der man den eigenen schreibaufgaben nachgehen kann. dies kann man auch für seinen arbeitsplatz einfordern oder Weiterlesen

biografisches schreiben und bürokratie

es gibt und gab regelungen in unserer gesellschaft, die menschen handlungsunfähig machten und machen. ein lied davon können asylbewerberInnen (allein das wort ist eine zumutung) singen. hier war die bürokratie die beste möglichkeit, zuwanderung zu verhindern. ein klassiker dabei war zum beispiel, dass für mitbürger aus anderen ländern eine aufenthaltsberechtigung ausgestellt wurde, wenn sie arbeit nachweisen konnten. sie bekamen aber meist arbeit nur, wenn sie eine aufenthaltsberechtigung nachweisen konnten. wo anfangen. vielleicht kennen sie ähnliche situationen.

in der eigenen lebensgeschichte kann die bürokratie eine große rolle spielen. es kann einem widerfahren sein, dass der eigene lebensweg durch gesellschaftliche regeln und ausführungen verstellt wurde. es beginnt eigentlich mit der einschulung. das bildungssystem hat nur wenig mit wirklichen kompetenzen zu tun, es hat mit wissensverwaltung zu tun. was haben sie in diesem zusammenhang erlebt? wie ging es weiter in lehre, studium und dann beruf? wie weit konnten sie wirklich das machen, das sie interessierte?

es ist ganz logisch, dass sich große soziale netze regeln geben müssen, um miteinander auszukommen und möglichst viele zu berücksichtigen. doch diese regeln müssten regelmäßig überprüft werden, um sie langfristig menschlicher zu gestalten. wie sind sie mit den regeln klar gekommen? welche regeln erlebten sie in ihrem leben überflüssig, nervend und inhuman? in welchen situationen war ihre ohnmacht am größten. oder für den perspektivwechsel die frage: wann fühlten sie sich frei? beim biografischen schreiben sollte die verwaltung unseres eigenen lebens ruhig auch einmal betrachtet werden, denn meist wird der einfluss auf unsere entwicklung unterschätzt.

der widerstreit zwischen subjektiven bedürfnissen und den bedürfnissen der gesellschaft an einen wird selten offen ausgetragen, er findet nur noch mit stellvertreterInnen statt. und die stellvertreterInnen verwalten die finanzielle absicherung im auftrag der gesellschaft. doch wie gut können wir unsere vorstellungen von Weiterlesen

selbstbefragung (139) – masochismus

die fragebögen zur selbstbefragung versuche ich unter rubriken zu bündeln. dieses mal geht es um den „masochismus“.

  • wann haben sie das letzte mal ihre bedürfnisse zum wohle anderer zurückgestellt? beschreiben sie.
  • wie kommen sie darauf, egoistisch zu sein, wenn sie ihre eigenen bedürfnisse verfolgen? begründen sie.
  • ist es für sie lustvoll, andere bestimmen zu lassen? warum?
  • wie stark und oft bestimmen sie für andere, was zu tun ist?
  • wann haben sie am stärksten an dieser welt gelitten?
  • ist melancholie für sie ein genuss? warum?
  • wen haben sie lang in schutz genommen, obwohl er oder sie ihnen nicht unbedingt gutes wollte?
  • wem gegenüber haben sie sich unfair verhalten?
  • wann machen sie sich hilflos, klein und verhalten sich unterwürfig? fühlt sich das für sie gut an?
  • wie weit mussten sie sich ihren eltern unterwerfen?

hier können sie weitere 1000 fragen als pdf-datei runterladen.

„verführt-verwirrt-für dumm verkauft“ von frank ochmann – ein buchtipp

manchmal geht einem die neuropsychologie gehörig auf den keks. immer wieder formuliert sie im mrt (magnetresonanztomographen) gewonnene neue unumstössliche erkenntnisse über unser verhalten, um sie etwas später wieder zu relativieren. die krux an dem getue besteht darin, dass eine koppelung zwischen gehirnaktivitäten und sozialpsychologischem experiment hergestellt wird, gleichzeitig aber kein mensch sagen kann, was wirklich gedacht wird, wenn in einer hirnregion mehr los ist, als in einer anderen. und anstatt die einzelnen menschen zu fragen, wird munter drauflos gedeutet. da ist der weg nicht weit, den freien willen des menschen anzuzweifeln.

dann findet man ein buch mit dem titel „verführt- verwirrt-für dumm verkauft – wie wir tag für tag manipuliert werden und was wir dagegen tun können“ im regal und liest im klappentext „psychologen und neurowissenschaftler entwickeln methoden, die uns einzeln und als masse auf kurs bringen sollen.“. heureka, denkt man bei sich, da nimmt sich mal einer des neuropsychologischen wahnsinns an und hinterfragt kritisch den modischen trend, weswegen jedes psychologische institut an hochschulen heute einen mrt benötigt.

weit gefehlt. der autor frank ochmann zitiert genüßlich ein neurowissenschaftliches experiment nach dem anderen und meint, dort den beleg unserer leichten manipulierbarkeit zu finden. schade, chance vertan. schon das sozialpsychologische experiment war immer eine konstruktion und scheiterte mit seinen statistiken an dem subjektiven verhalten des menschen im alltag. den erkenntnissen aus der magnetröhre ist ein ähnliches schicksal beschieden, wenn die gesellschaftlichen bedingungen immer wieder ausgeklammert werden.

anders formuliert: der einzelne mensch, der in einer magnetröhre liegt, abgeschirmt von der strahlung und der gesellschaft denkt in bestimmten gehirnregionen unbestimmtes. aber im alltag einer restriktiven gesellschaft schätzt er bei seinen handlungen sehr klar ab, welche sanktionen ihn erwarten, wenn er bestimmte verhaltensweisen nicht an den tag legt. die drohenden sanktionen machen ihn anfällig für manipulationen (oder kritisch-psychologisch formuliert, für nahelegungen).

zum schluss landet auch ochmann bei der frage, wie, den manipulationen zu widerstehen, aussehen könnte. nur leider ist es ihm in diesem moment schon beinahe unmöglich die kraft des sozialen wesens des menschen ernst zu nehmen. kooperative verhältnisse sind eine alternative zu restriktiven verhältnissen. den zugang aller zur verfügung über die lebensbedingungen, hier liegt die kraft des menschen, manipulationen zu entgehen. doch in der magnetröhre wird man nur feststellen können, in welcher hirnregion der mensch diesen gedanken reifen lässt. frank ochmann kratzt mit seinem buch leider nur an der oberfläche wie die neuropsychologie eben auch. das buch ist 2011 im gütersloher verlagshaus erschienen. ISBN 978-3-579-06748-0

schreibpädagogik und eifersucht

es geht nicht darum, ob es in schreibgruppen eifersüchteleien geben mag und wie damit umzugehen ist, wenn man die gruppe anleitet. an allen orten, an denen menschen aufeinandertreffen kann es zu kleinen konkurrenzen kommen, da unterscheiden sich die formen und wege wenig. nein es scheint mir wichtiger, einen blick auf eine recht spezielle form der eifersucht bei kreativen tätigkeiten zu werfen.

teilnehmerInnen von schreibgruppen berichten öfter davon, dass ihre freunde, bekannte oder lebensabschnittsgefährtInnen sich darüber lustig machen, was sie denn für ein hobby gewählt haben oder welchen seltsamen interessen sie folgen. meist beginnen die äußerungen mit einer abwertung der tätigkeit. es wird gern formuliert, dass es sich ja um so ein volkshochschul-ding handle (was überhaupt nicht gegen volkshochschulen spricht) und eher hausfrauen vorbehalten sei (was auch überhaupt nicht gegen die arbeit im haushalt spricht). in den bewertungen der sender dieser botschaften sind volkshochschulen und hausfrauen negativ besetzt. allein dies wirft etliche fragen auf.

aber man befindet sich in diesem moment an dem punkt, ob man überhaupt auf die äußerungen eingehen will. denn wenn man versucht sich zu rechtfertigen wertet man im gleichen atemzug auch die volkshochschulen und hausfrauen ab. gleichzeitig scheint es aber sinnvoll zu vermitteln, was schreibgruppen oder kreatives und biografisches schreiben so interessant und anregend macht. die eifersucht speist sich meist aus dem erleben, dass die schreibenden mit großer begeisterung von den dynamiken der neuen tätigkeit berichten. da hat jemand etwas für sich gefunden, da findet jemand einen neuen ausdruck seiner oder ihrer selbst.

als teilnehmerInnen von schreibgruppen führt man seinem umfeld vor, dass schreiben eine wirkung auf die eigene person hat. man verändert sich, man kommt sich näher und findet schriftlich worte für das eigene befinden. dabei kann es zu entwicklungen kommen, die der umgebung bedrohlich erscheinen. meist handelt es sich in diesen momenten um Weiterlesen

schreibidee (292)

reisezeit, zugfahrzeit. zug fahren hat den großen vorteil, dass man sich ausschließlich auf die landschaft konzentrieren kann, ohne lenken zu müssen. man kann alles an sich vorüberziehen, beobachten, wie sich der ausblick verändert. gut, bei hochgeschwindigkeitszügen rauscht die landschaft an einem vorüber, für diese schreibanregung sollte deshalb eine langsamerer zug gewählt werden. ob eine reale oder nur eine vorgestellte „zugfahrt nach kreativitien“ stattfindet, muss die schreibgruppe entscheiden.

alle einsteigen und das gepäck nicht vergessen. das richtige gepäck auf einer zugreise ist das wichtigste. es sollte nicht zu schwer sein, beim umsteigen tragbar, nicht zu groß, damit es in die gepäckablage passt und alles enthalten, was man in der nächsten zeit benötigt. darum notieren sich die schreibgruppenteilnehmerInnen auf einer liste, was sie für „kreativitien“ brauchen. diese listen stellen sie sich kurz gegenseitig vor.

dann geht es los. die plätze sind eingenommen, alle haben es sich so gemütlich wie möglich auf ihren sitzplätzen gemacht. und alle schauen aus dem fenster. was zieht als erstes vorüber, was zeigt an, dass kreativitien nicht mehr weit entfernt sein kann? welche veränderung findet sichtbar statt? dazu wird ein kurzer text geschrieben (maximal zwei seiten) und in der schreibgruppe vorgelesen.

nun kommt man an die grenze nach kreativitien. da es sich um ein recht eigenwilliges land handelt, gibt es auch noch grenzkontrollen und klare zollbestimmungen. diese zollbestimmungen sind von den reisenden aufzuschreiben. was darf man nicht mit nach kreativitien nehmen und was nur in bestimmten kleineren mengen? alle schreibenden notieren die zollbestimmungen auf maximal einer seite und tragen sie danach vor.

nun ist man eingereist. der zug setzt sich wieder in bewegung und blicke und gedanken können umherschweifen. was sieht man? was macht kreativitien so besonders. von allen schreibgruppenteilnehmerInnen wird ein längerer text darüber geschrieben, was an ihrem persönlichen fenster vorbeizieht und was ihnen besonders gut an diesem land gefällt. dieser text kann eine geschichte oder ein bericht, ein protokoll oder ein abenteuer sein. anschließend werden die texte vorgelesen. da zum persönlichen eindruck schwer ein feedback stattfinden kann, setzt sich die schreibgruppe damit auseinander, welche vorlieben für sie jeweils zu kreativitien gehört.

nach dem vorlesen der texte ist man angekommen. nun sollte die reise- und schreibgruppenleitung noch darauf hinweisen, dass die eben entstandenen texte einen guten anhaltspunkt dafür geben, was für einen selber zum kreativ sein, notwendig ist. dass man diese schreibanregung in regelmäßigen abständen wiederholen kann, um für sich zu sehen, was für kreatives schreiben eventuell notwendig ist, und vor allen dingen, was man im gepäck haben sollte. man kann sich damit seine eigene kreative welt ausmalen. und nun bei der ankunft aussteigen und alles erkunden.

diese schreibanregung kann auch in einer schreibberatung als einstieg bei der suche nach der idealen schreibumgebung verwendet werden. vor allen dingen der zoll könnte hier eine große rolle spielen, nämlich die frage, was man zurücklassen sollte, wenn man kreativ sein möchte.

biografisches schreiben und sucht

sucht wird in unserer gesellschaft sehr seltsam diskutiert. es gibt kaum eine störung und krankheit, die viele so hilflos macht. damit meine ich nicht die davon betroffenen, denn sie sind süchtig, also in gewisser weise hilflos. sondern ich meine das nähere umfeld. sucht führt oft zum fremdschämen. dies hat damit zu tun, dass in vielen köpfen weiterhin die vorstellung herrscht, dass die süchtigen sich nur ordentlich anstrengen müssten, um ihrem verlangen herr zu werden. die abhängigkeit wird als schwäche verbucht, als persönliches verschulden.

beim biografischen schreiben hat man die chance, einmal zu schauen, auf welche dinge man selber in seinem leben nicht verzichten konnte. was brauchte man auf gedeih und verderb und hat sich damit eventuell auch in schwierigkeiten gebracht? dabei kann man unterscheiden, welche süchte anerkannt sind und welche verurteilt werden. anerkannt ist zum beispiel der workaholic, der sein leben von der arbeit abhängig macht, auch die magersucht findet bis zu einem gewissen punkt anerkennung. andere süchte werden sofort verurteilt (weiterhin betrifft dies hauptsächlich die „harten“ drogen).

schauen sie doch mal in ihrer lebensgeschichte nach, was sie alles angestellt haben, um eine form der befriedigung zu finden, auf die sich nicht verzichten konnten. und war dann, nachdem das bedürfnis befriedigt war, ruhe oder folgte der nächste heftige wunsch? warum fiel es so schwer, den erfolg, die befriedigung zu genießen? was glauben sie, woher die einstellung kommt, dass es immer noch besser, noch toller, noch stärker, noch schneller oder noch befriedigender geht? woher kommt der empfundene mangel in ihrem leben?

ein anderer blickwinkel im biografischen schreiben kann es sein, sich zu fragen, wo im persönlichen umfeld süchte zu tage traten. wie hat man das erlebt? setzte fremdschämen ein oder eventuell sogar co-abhängigkeit? ab wann hat man oder hätte man grenzen ziehen sollen? meist ist der kontakt zu süchtigen jedeweder art ein schwieriger und zwiegespaltener. man erlebt die bedürftigkeit eines menschen, der einem nahe steht und möchte unterstützung geben. gleichzeitig weiß man meist sehr genau, dass man den bedürfnissen der anderen widersprechen sollte, da sie unangemessen geworden sind. Weiterlesen

biografisches schreiben und gier

beinahe alle unsere handlungen basieren auf dem versuch, bedürfnisse zu befriedigen. wenn ich laufe, dann möchte ich einen bestimmten ort erreichen, dann möchte ich vorankommen und habe ein ziel vor augen. und selbst wenn ich ziellos durch die gegend laufe, habe ich eine vorstellung davon, warum ich dies tu. es gibt keine unbegründeten handlungen. das ist der normale lauf unseres lebens. dazu gehört auch, dass nicht jedes bedürfnis befriedigt werden kann, dass wir immer wieder aufgerufen sind, unsere bedürfnisse mit den anforderungen von außen abzugleichen. so kann ich nicht einfach weiterschlafen, wenn der wecker klingelt und der erwerbsarbeit nachzugehen ist.

aber manchmal kann es passieren, dass das zu befriedigende bedürfnis so übermächtig und grenzenlos ist, dass es mit der einfachen handlung nicht getan ist. es scheint uns unvorstellbar, dass dieses bedürfnis nicht befriedigt werden könnte. wir werden gierig. das erinnert ein wenig an die kinder, die vor der supermarktkasse unbedingt noch die eine süssigkeit benötigen. doch wenn ihre eltern zu verstehen geben, dass dies nicht geschehen wird, werfen sie sich auf den boden und schreien, um doch zu bekommen, was ihnen versagt wird.

zur gier gehört ebenso eine gewisse maßlosigkeit. dies bedeutet, ist das bedürfnis eigentlich befriedigt, wird noch eins draufgesetzt und entweder müssen gleich noch zwei andere bedürfnisse befriedigt werden oder man möchte von dem erhaltenen einfach mehr, die doppelte portion bedürnisbefriedigung. beim biografischen schreiben hat man die möglichkeit, einen blick auf die eigene gier zu werfen. wovon konnte man nicht genug bekommen, was wollte man unbedingt haben? Weiterlesen

liste (21) – selbstmotivierung

wer lust hat, kann sich diese seite ausdrucken und ausfüllen. ich schlage listen vor, die einem vielleicht einen überblick zu verschiedenen themen der eigenen lebensgeschichte geben können. dieses mal geht es um „selbstmotivierung“.

wenn die luft raus ist und ich wieder kraft schöpfen will, mache ich am liebsten:

das hindert mich am häufigsten, motiviert zu sein:

damit können mich andere motivieren:

damit motiviere ich mich selbst für aufgaben, die ich nicht gern mache:

dinge, zu denen ich mich nie motivieren kann und will:

schreibpädagogik und kontrolle

schreibgruppen leben davon, dass die teilnehmerInnen sich am angebot beteiligen, in den austausch mit den anderen schreibenden treten und generell ähnliche interessen haben. wie es aber bei gruppen und ihren dynamiken öfter der fall ist, das muss nicht sein. was tun? oder anders formuliert: wie stark sollte man die abläufe in schreibgruppen als leitung kontrollieren und moderieren?

wie schon geschrieben, schreibe ich hier von schreibgruppen, die angeleitet werden. handelt es sich um gruppen, die sich selber konstituiert und zusammengefunden haben, dann benötigen diese meist viel raum für eine basisdemokratische organisation. handelt es sich aber um ein angebot, das eventuell bezahlt wird, also um eine dienstleistung, dann ist die leitung gefordert die interessen möglichst aller teilnehmerInnen unter einen hut zu bekommen.

um dies zu schaffen, sollte immer raum für veränderungsvorschläge und anregungen durch die teilnehmerInnen vorhanden sein. manche pädagogInnen vertreten die auffassung, dass jeder störung raum zu geben sei. darüber kann man streiten, da es auch gruppenmitglieder gibt, die die störung zu ihrem lebensziel gemacht haben (meist nicht aus bösartigen beweggründen). wenn man in diesen momenten allen störungen raum gibt, kann dies die anderen teilnehmerInnen irgendwann belasten und den eigentlichen zweck der schreibgruppe in den hintergrund drängen.

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wortklauberei (59)

„der vorsatz“

es ist schwer, wenn man den jahreswechsel dazu nutzt, alles ändern zu wollen. denn schon zwei wochen später stellt man fest, dass sich das leben nicht so leicht ändern lässt, wie man es sich vorstellte. aber was soll´s, man kann auf den nächsten jahreswechsel warten und sich wieder etwas vornehmen. ja, man hat die absicht etwas zu tun, etwas zu ändern. man benennt gute „vorsätze“ für das neue jahr.

der „vorsatz“ steht aber vor keinem satz. sonst wäre ein vorsatz „ähem“ oder „apropos“ oder „also“, aber eben keine absicht. dabei wären vorsätze, wie ähem, apropos und also, wahrscheinlich die sinnvolleren. aber der mensch ist bemüht sich beständig zu bessern, mehr zu erreichen. da braucht etwas vor jedem satz, etwas, bevor man zum sprung ansetzt. sonst macht man den großen satz, den sprung in die falsche richtung.

die demonstrantInnen von stuttgart 21 haben dies erkannt. sie wollen nicht nur eine änderung der bauvorgaben, sie wollen auch gleich sich ändern. da nehmen sie sich viel vor. um ihre haltung zu bestärken, legten sie gemeinsam gelübde ab, die fragwürdig, wie jeder vorsatz sind. so konnte man im tv sehen, dass sie alle die aussage trafen: „ich sage nie wieder alternativlos“.

dieser vorsatz muss aus dem managment kommen, aus der mitarbeiterschulung. für jedes problem gibt es eine lösung, man muss sich nur ordentlich anstrengen, bei jeder handlung sollte schon die alternative mitgedacht werden. ein vorsatz, der nach hinten losgehen kann. der eigentliche vorsatz ist in diesem zusammenhang wohl „ich sage nie wieder …“. und ich antworte mit dem nachsatz: „sag niemals nie“.

denn sonst landet man mit dem vorsatz bei „ich sage nie wieder bedingungslos“, „ich sage nie wieder haltlos“ oder „ich sage nie wieder vorsätzlich“. sollte man die vorsätze wegen ihrer unerfüllbarkeit abschaffen, dann sollte man aber darauf bestehen, dass der nachsatz bleibt. der ist viel wichtiger und kann richtig gehaltvoll krachen. habe mit vorsatz diesen schwachsinn geschrieben. sorry.

ab wann habe ich eine lebensgeschichte?

der gedanke, erst im hohen alter lohne es sich, seine lebensgeschichte aufzuschreiben, ist weit verbreitet. viele menschen gehen davon aus, dass sie in jüngeren jahren noch nicht viel zu erzählen. sie leben in der erwartung, dass noch viel passieren wird. und erst wenn viel passiert ist, haben sie auch anderen etwas mitzuteilen. dabei kann es vorkommen, dass sie jahre später der meinung sind, es sei immer noch nicht viel in ihrem leben geschehen. und so finden sie sich dann in hohem alter in der situation wieder, dass sie der meinung sind, es sei nichts aus ihrer vergangenheit mitteilenswert.

in diesem gedanken steckt zum einen die vorstellung, es benötige dramatische entwicklungen, um etwas erzählen zu können. zum anderen wird davon ausgegangen, dass biografisches schreiben sich vor allen dingen an den leserInnen orientiere. letzteres habe ich hier schon thematisiert. ich möchte mich der frage zuwenden, ab wann ich davon ausgehen kann, eine „lebensgeschichte“ erlebt zu haben. auch hier ist die erste antwort kurz und knapp: ab dem moment, ab dem ich schriftlich beschreiben kann. fragen sie einmal ein kind, was es denn bis jetzt so erlebt hat und sie werden viele geschichten erzählt bekommen.

nur erwachsene fangen an, vieles erlebte als bedeutungslos zu bezeichnen. meist sind die wertungen über erlebtes gar nicht ihre eigenen, sondern annahmen, die sie aufgrund der urteile anderer machen. orientiere ich mich zum beispiel an einem extremsportler, erscheint mein leben in bezug auf körperliche anstrengungen und extremerfahrungen sicherlich nüchtern und langweilig. ich vergleiche in diesem moment aber birnen mit äpfeln. im vordergrund für das biografische schreiben sollte zu beginn die einfache frage stehen: was hat mich am meisten bewegt? es gibt keinen menschen, den nichts bewegt hat.

bewegen können einen „kleine“ ereignisse, wie ein kinoabend, an dem man einen film gesehen hat, der einen in den grundfesten der eigenen vorstellungen erschüttert hat. bewegen kann einen natürlich auch, eine traumatische situation erlebt zu haben, wie den tod eines geliebten menschen. kinder machen einem aber vor, dass ganz alltägliche begebenheit ebenso wichtig und bewegend erlebt werden können. natürlich entwickelt man in manchen zusammenhängen im laufe seines lebens eine routine. Weiterlesen

selbstbefragung (53) – leben

die fragebögen zur selbstbefragung versuche ich unter rubriken zu bündeln. dieses mal geht es um „leben„.

  • wenn sie ihr bisheriges leben als landschaft beschreiben sollten, was für eine landschaft wäre es? beschreiben sie.
  • was fehlt ihnen in ihrem leben?
  • von was haben sie zu viel in ihrem leben?
  • was möchten sie auf alle fälle noch erleben? was hinderte sie bis jetzt daran?
  • was würden sie gern anderen aus ihrem leben mit auf den weg geben? warum?
  • können sie etwas mit der „carpe-diem“-vorstellung anfangen? warum?
  • wann hatte sie in ihrem leben das gefühl, auf der stelle zu treten? beschreiben sie.
  • wenn es die wiedergeburt gäbe, als was würden sie gern weiterleben?
  • würden sie bei einer wiederholung alles noch einmal so machen, wie sie es in diesem leben gemacht haben? warum?
  • welche menschen spielten bis jetzt in ihrem leben die größte rolle? zählen sie auf.

biografisches schreiben und auseinandersetzungen

wie schon die letzte schreibidee thematisierte, gehört zum zusammenleben der menschen auch das streiten. es hat meist damit zu tun, dass die bedürfnisse und erwartungen zweier aufeinandertreffender menschen verschiedene sind und sich erst einmal die gegensätze gegenüber stehen. das hat damit zu tun, dass man sich noch so gut kennen kann, jedoch nie hunderprozentig wissen kann, was die partnerInnen oder andere menschen denken und fühlen. der streit ist dabei oft eine form der annäherung, kann aber auch zur endgültigen distanzierung führen, da sich lebenskonzepte voneinander entfernt haben.

bei der betrachtung der eigenen lebensgeschichte haben solche auseinandersetzungen ein großes gewicht, auch wenn sie gern unter den teppich gekehrt werden. wer schreibt schon gern über seine beziehungskrisen oder aus streits resultierende unversöhnliche feindschaften. so ist ein blick beim verfassen der eigenen biografie auf die erlebten streitigkeiten unumgänglich. wie weit man sie dann öffentlich macht, ist eine andere frage.

aber sich selber sollte man fragen, wie weit einen diese auseinandersetzungen verändert haben oder wieweit man sich, der / die andere im vorfeld verändert hat. Weiterlesen

nabelschau (17)

invasion der urmütter. kennen sie das? sie steigen in ein nahverkehrsmittel und gleich im anschluss steigt eine mutter mit ihrem einzelkind ein. gerade ist die schule aus oder das kind wurde in der kita abgeholt. beide sind auf dem weg nach hause. das kind ist ein wenig erschöpft, aber mutti sorgt sich um das wohlergehen des kleinen mit aller kraft, die ihr zur verfügung steht.

das beginnt mit „hast du hunger?“, „möchtest du was von dem brötchen?“, „willst du auch noch was zu trinken?“ und „siehst du da draußen das große auto?“. auffällig in den situationen ist, dass das kind eigentlich recht genügsam keinen wunsch äußert, noch nicht einmal ungeduldig scheint, sich einfach umschaut. nicht so die mama, sie ballert ihr liebstes stück mit fragen, angeboten und besorgtheiten zu. und dies in einer lautstärke, die alle mitfahrerInnen erfahren lässt, wie toll mama ist.

wer glaubt, dass, nachdem das kind signalisiert hat, alle bedürfnisse wie hunger, durst und unterhaltung sind gestillt, ruhe einkehrt, sieht sich getäuscht. jetzt geht die befragung los. was war in der kita los, waren alle freundInnen brav, was hat man gemacht, was hat man gelernt…? pädagogInnen nennen das lernerfolgskontrolle, mütter würden sofort von anteil am leben des kindes sprechen. denn sie vermuten, dass sich bestimmt situationen ereignet haben, gegen die man sich beim nächsten elternabend wehren muss. „war kevin böse?“.

oder kennen sie die situation, dass sie bei diesem schauerwetter an einer schule vorbei müssen, die gerade den unterricht beendet? Weiterlesen

schreibidee (125)

lust ist ein begriff, der schon ausgesprochen lust auf mehr macht. wahrscheinlich liegt es am klang des wortes, dass so viele assoziationen und gedanken hervorgerufen werden und doch so selten danach gelebt wird. lust ist etwas subjektives und bedeutet für jeden menschen etwas anderes. um ein gefühl für die eigene lust zu bekommen, dient die schreibanregung dieses mal der animation zu „lust-geschichten„.

da lust so vielfältig verwendbar ist, angefangen bei der leselust, bis zu lüsternen begebenheiten, dient als einstieg ins schreiben über die lust ein cluster, das alle teilnehmerInnen der schreibgruppe zum thema „lust“ erstellen. anschließend werden gedanken zu einzelnen lustvollen momenten in halbseitige geschichtchen gefasst. diese werden anschließend in der schreibgruppe vorgetragen.
nun ist es an den teilnehmerInnen, für sich die momentan vorrangige lust auszuwählen (kann sich dieses bedürfnis doch recht schnell ändern).

anschließend ist nach einem kurzen freewriting zur jeweils gewählten lust-variante, eine längere geschichte zu schreiben. die geschichten werden auch wieder in der schreibgruppe vorgetragen. es ist davon auszugehen, dass eine große bandbreite an lustvollen begebenheiten vorgestellt. nach diesem umfassenden überblick sollten alle teilnehmerInnen einen text verfassen, was für sie „lebenslust“ bedeutet. lebenslust ist eine viel umfassendere vorstellung von lustvollem leben, als die vorherige konzentration auf eine lust.
die jeweiligen lebenslust-konzepte werden sich gegenseitig vorgestellt. und zum abschluss ein text verfasst, was notwendig wäre, um diese lebenslust auch zu leben, wenn dies nicht schon geschieht. wenn teilnehmerInnen ihrem konzept folgen, können sie noch einmal in einem text beschreiben, worin der vorteil für sie darin liegt. diese texte werden nicht mehr vorgetragen, da sie zum abschluss ausschließlich der selbstreflexion dienen.