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„das hier ist wasser“ von david foster wallace – ein buchtipp

david foster wallace, ein genialer schriftsteller, der viel zu früh starb, hielt vor ein paar jahren eine rede zum collegeabschluss über das lernen, das denken und das leben. dabei zeigte er auf, was es heisst für das lebens zu lernen. vor allen dingen machte er die absolventInnen darauf aufmerksam, dass das lernen nach dem abschluss erst so richtig losgeht, wenn man die üblichen bahnen des alltags verlassen möchte. dieser text ist unter dem titel „das hier ist wasser – anstiftung zum denken“ als kleines büchlein erschienen und findet anscheinend reissenden absatz.

auf fünfundzwanzig großzügig bedruckten seiten schafft es wallace, die tragik des lebens, der wahrnehmung und des blickwinkels wunderbar darzustellen. andere kluge köpfe haben dies sicherlich schon viel differenzierter, durchdachter und drastischer formuliert. aber bei wallace blitzt ein schuss humor durch, der erst einmal unterhält und in zweiter linie die distanzierung von allen großen „wahrheiten“ untermauert. ein text der unzulänglichkeiten unserer sozialen konstruktionen entlarvt und dabei gleich eine alternative anbietet, die so einfach klingt und laut david foster wallace so anstrengend ist: die augen offen zu halten. nicht aufzuhören, den blickwinkel und die eigene position zu verändern, um auf eine große entdeckungsreise zu gehen.

ein text, der sich für jede lehranstalt und für jeden lernprozess eignet. ein text der gesellschaftskritik mit dem aufruf zur eigenen entscheidungsfreude vereint. das taschenbuch gibt den text zweisprachig wieder und kann somit auch im englisch-unterricht verwendet werden. er sei allen ans herz gelegt, die die meinung teilen, am leben lernen könnte ein abenteuer und gleichzeitig unglaublich nervig sein. das buch ist 2012 bei kiepenheuer & witsch in köln erschienen. ISBN 978-3-462-04418-8

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schreibberatung und klischee

beratung bietet sich für die verwendung von klischees an. wer schon länger in beratungszusammenhängen arbeitet, bekommt teilweise ein gespür dafür, welche problemlage bei bestimmten berichten oder äußerungen vorliegen könnte. viele ausbildungen zu beraterInnen arbeiten mit den vorstellungen von verallgemeinerbaren sachlagen und den dazugehörigen lösungsmöglichkeiten. das startet schon bei behörden, die beratungen anbieten und endet in der psychologischen beratung. dies wird, wie wir es wahrscheinlich alle aus beratungssituationen kennen, den subjektiven anliegen oft nicht gerecht.

das grundproblem liegt in einem reduzierten menschenbild, das teilweise auf ein reiz-reaktions-schema zurückzuführen ist. alle beraterInnen machen im laufe der zeit die erfahrung, dass kein beratungsfall mit einem anderen vergleichbar ist. nur leider fehlt oft eine angemessene theorie im hintergrund. aus der kritischen psychologie kommend, erscheint es mir wichtig, dass ein subjektorientierter blickwinkel eingenommen wird. als beraterIn bin ich gefordert, die anliegen der klientInnen in ihrer persönlichen dimension ernst zu nehmen. das bedeutet, das ein stressor für die eine person gut zu verarbeiten ist und für die andere person sofort sehr bedrohliche ausmaße annehmen kann. ich kann dies nicht von außen feststellen oder festlegen, sondern nur durch nachfragen ein bild von der situation bekommen.

wenn ich diese vorgehensweise ernst nehme und ebenso die klientInnen in ihren aussagen ernst nehme, dann kann ich überhaupt nicht mehr mit verallgemeinerungen arbeiten. ich kann zwar formulieren: „vielen menschen an dieser problemsituation geholfen, dass sie …“, aber ich muss im gleichen atemzug die frage nachschieben: „scheint ihnen diese vorgehensweise oder handlungsmöglichkeit umsetzbar? und wenn die klientInnen zu erkennen geben, dass dem nicht der fall ist, dann sollte ich gemeinsam nach weiteren, anderen handlungsmöglichkeiten suchen.

das einzige verallgemeinerbare in solch einem beratungskontext, ist mein pool an schon vorhandenen lösungsvorschlägen, den ich mir im laufe der zeit angeeignet habe. doch die emotionalen dimensionen für die einzelne person, die mir gegenübersitzt, kann ich nicht abschätzen. so lösen sich sehr schnell alle klischees in luft auf. ich kann in der schreibberatung nicht im vorfeld formulieren, dass zum beispiel doktorandInnen diese und jene schreibkrisen haben, schülerInnen wiederum andere benennbare und studierende noch einmal unterschiedliche, aber „übliche“. die heikelste situation, die in einer (schreib)beratung entstehen kann, ist, dass die klientInnen sich in ihren anliegen nicht ernst genommen fühlen. dies geschieht leicht, wenn ich sie ständig in vergleich setze zu „diagnostischen“ kriterien, die mir einmal vermittelt wurden.

diagnostik kann für mich in schreibberatungen nur eine orientierungslinie sein, die ich jederzeit verwerfen kann. mir sollte bewusst sein, dass ich meine bisherigen erfahrungen zwar einbringen, aber sie auch jederzeit Weiterlesen

schreibberatung und arbeit

die schreibberatung ist eine stete gratwanderung zwischen der vermittlung eines entspannteren schreibens und dem hinweis, dass schreiben auch immer arbeit bedeutet. menschen suchen die schreibberatung meist auf, da das schreiben für sie zur qual geworden ist oder überhaupt nicht funktioniert. hier ist es an den beraterInnen eine einfachere, direktere vorgehensweise beim schreiben zu vermitteln und den positiven lerneffekt auszulösen, dass schreiben nicht so anstrengend sein muss, wie man es sich bisher vorgestellt hat.

doch gleichzeitig steckt hinter dem flüssigen und entspannten schreiben doch wieder eine „anstrengung“, nämlich die regelmäßige übung, also in den augen vieler klientInnen eben doch arbeit. und damit ist es in vielen zusammenhängen noch nicht getan: im anschluss muss der entstandene text oft noch überarbeitet werden. der zeitaufwand für das überarbeiten ist nicht zu unterschätzen. darum sollte man in beratungen eine zweiteilung vornehmen.

schreiben ist wie rechnen oder lesen nicht frei von arbeit, aber die arbeit kann entspannter vollzogen werden, da der text oder die geschichte nicht von anfang an perfekt sein muss, sondern der einstieg ins schreiben ein spielerischerer ist. es wird also erst einmal „drauflos geschrieben“. der gedanke, jeden text noch einmal überarbeiten zu können, lässt einen beruhigter in den schreibprozess einsteigen. doch das überarbeiten kostet natürlich zeit. es wäre ein trugschluss, zu glauben, schreiben würde keine zeit kosten. und man kann auch nicht versprechen, dass am anfang, wenn man noch nicht viel übung hat, diese form des schreibens schneller geht.

man kann nur versprechen, dass das gefühl einer qual oder die inneren blockaden im laufe der zeit verloren gehen. es geht also erst einmal um die qualitativen aspekte des schreibprozesses. erst im im zweiten schritt, im laufe der zeit, reduziert sich dann auch der arbeitsaufwand. es fällt bei entspannterem schreiben leichter, für den text die richtigen worte zu finden. das bedeutet, dass nachbesserungen und überarbeitungen abnehmen. es bedeutet aber nicht, dass dies Weiterlesen

kreatives schreiben und erfolg

wann ist kreatives schreiben erfolgreich? vielleicht wenn man einen schönen, zusammenhängenden text erstellt hat. oder wenn man das gefühl hat, dass die eigene kreativität viel raum einnehmen durfte. oder wenn man den inneren zensor überwinden konnte. oder vielleicht, wenn man eine tolle idee für eine längere geschichte entwickeln konnte. …

kreatives schreiben ist so vielfältig, dass man es aus den unterschiedlichsten blickwinkeln als erfolg erleben kann. und da es sich abermals um eine subjektive bewertung handelt, werden auch die bewertungsmaßstäbe, was nun am eigenen schreiben ein erfolg war, sehr unterschiedlich ausfallen.

doch oft genügt es schon den kreativ schreibenden, dass sie überhaupt geschrieben haben, als erfolg zu werten. das kreative schreiben ist ein ansporn, sich zeit zu nehmen (für sich selber, etwas zu tun), seiner kreativität raum zu geben (überhaupt daran zu glauben, kreativ sein zu können), eine idee zu verfolgen (ohne sie gleich wieder in zweifel zu ziehen) und etwas selber zu schöpfen (ja, die idee hat man eigenständig produziert und daraus ist etwas vollkommen neues, einmaliges enstanden).

dies ist der positive effekt des kreativen schreibens, der von vielen menschen so erlebt wird. darum ist kreatives schreiben, wenn man sich darauf einlassen kann und wenn man die eigene tätigkeit nicht gleich als schnickschnack abtut, oft erfolgreich. es vermittelt den menschen ein gutes gefühl und steigert dadurch das eigene selbstwertgefühl, so wie dies bei anderen erfolgen auch der fall ist.

beim kreativen schreiben steht man erst einmal nicht in konkurrenz mit anderen menschen (obwohl dies in schreibgruppen auch auftreten kann), sondern man steht in konkurrenz mit dem „inneren schweinehund“. es geht oft um den gedanken, doch nicht schreiben zu können, noch nie geschrieben zu haben und sowieso nichts anständiges hinzubekommen. die schreibtechniken des kreativen schreibens überzeugen im laufe der zeit, viele menschen vom gegenteil. und wenn man dann auch noch den erfolg feiern kann, sich darüber freuen kann, etwas geschrieben zu haben, dann löst sich die eventuelle konkurrenz zu anderen auch schnell in nichts auf.

denn das kreative schreiben folgt eigentlich keinem leistungsprinzip, man bestimmt eben subjektiv selber, was für einen in ordnung ist, was einen erfolg darstellt. das ist etwas, was viele von uns verlernt haben, da unsere gesellschaft sehr schnell mit bewertungen von außen bei der hand ist. das kreative schreiben kann erfolgreich bekräftigen, sich wieder mehr auf sich selbst und die eigenen bedürfnisse zu konzentrieren.

selbstbefragung (30) – verdrängung

die fragebögen zur selbstbefragung versuche ich unter rubriken zu bündeln. dieses mal geht es um „verdrängung„.

  • was können sie schwer verdrängen?
  • wann haben sie verdrängung in ihrem leben als sehr hilfreich empfunden?
  • glauben sie, dass sie noch etwas verdrängt haben, das ihnen nicht bewusst ist? in welche richtung könnte dies gehen?
  • ist verdrängung in ihren augen eher nützlich oder eher schädlich? begründen sie.
  • welchem menschen in ihrem umfeld würden sie gern mal die augen öffnen? und warum haben sie es bis jetzt nicht getan?
  • was verdrängen in ihren augen zur zeit die gesellschaften auf dieser welt am meisten oder stärksten?
  • wem in ihrer umgebung würden sie gern ihr leben beichten?
  • was gäbe es denn dann zu beichten?
  • würden sie jemals im fernsehen eine lebensbeichte ablegen wollen? warum?
  • wodurch lässt sich bei ihnen verdrängtes zum vorschein bringen? wollen sie dies überhaupt?

„schwarzes quadrat“ von max frisch – ein buchtipp

warum schreiben schriftsteller? eine frage, die nicht-schriftstellerInnen gern bekannten schriftstellern stellen. 1981 hat max frisch zwei vorlesungen in new york auch zu dieser frage gehalten. die beiden vorlesungen sind mit vor- und nachwort nun bei suhrkamp als kleiner band erschienen. doch sie haben es in sich.

einer der schönsten sätze in den vorlesungen ist meiner ansicht nach: „schreiben heißt: sich selber lesen.“ . max frisch kommt zu dem schluss, wer obige frage stellt, wird nicht schriftstellerIn werden. denn schreiben ist seiner ansicht nach nichts anderes, als sich erfahrungen zu vergegenwärtigen und in geschichten zu packen. worte für das erlebte finden, die welt, die eigene welt eben für sich subjektiv zu klären. sich selber lesen.

dieser band ist eine perle in der ganzen literatur über das schreiben. max frisch schafft es in zwei kurzen vorlesungen das kreative, zum beispiel „fiction“ und „imagination“ in abgrenzung zu erklären. er fragt nach der subjektivität und den biografischen einflüssen des schreibens. ohne persönlichen anteil ist für ihn keine literatur denkbar. und er stellt sich die frage, wieweit literatur auf gesellschaftliche entwicklungen einfluss nehmen kann. seine antworten sind kurz und prägnant, aber sie treffen den prozess des schreibens erstaunlich gut. max frisch verkündet zum ende der zweiten vorlesung ein manifest zur poesie, das den titel „schwarzes quadrat“ erhält. woran sich dieser titel orientiert, ist im buch nachzulesen. erschienen 2008 beim suhrkamp verlag in frankfurt am main. ISBN 978-3-518-41999-1

UNBEDINGT LESEN ❗