Schlagwort-Archive: offen legen

schreibpädagogik und bewusstes

vor allen dingen beim feedback-geben zu texten ist es manchmal für teilnehmerInnen von schreibgruppen oder schreibwerkstätten verführerisch, die texte in bezug auf die autorInnen zu deuten. dabei handelt es sich um aussagen wie: „du wolltest wahrscheinlich damit sagen, dass …“. oder noch direkter: „diese stelle zeigt, dass du …“. hier wird über die wahrnehmung des bewusst geschriebenen hinausgegangen und ein bezug zu den angenommenen gedanken (bewusste und unbewusste) der autorInnen hergestellt.

in diesen momenten müssen meiner ansicht nach gruppenleiterInnen eingreifen, wenn sich die angesprochenen autorInnen nicht selbstständig dagegen wehren. kein mensch kann von außen beurteilen, welche bewussten und unbewussten gedankenprozesse bei schreibenden während des schreibens stattfinden. man begibt sich in diesen momenten in den bereich der spekulation, die keinen sinn bei textbesprechungen macht. darum kann man entweder entscheiden, nachzufragen, was die intention war, einen text zu verfassen, welche gedanken dabei auftraten, oder man beschränkt sich darauf, zu betrachten, was der text bei einem selbst auslöst.

nicht nur beim biografischen schreiben, sondern bei allen schreibarten fließen auch persönliche anteile der autorInnen ein. ob dies nun bewusst oder unbewusst geschieht, spielt eigentlich keine rolle, da nur das ergebnis von interesse ist. natürlich kann einem beim schreiben manches bewusster werden, können selbstreflexionen verstärkt werden. dies kann man offen legen, wenn es einem notwendig erscheint und zum Weiterlesen

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schreibberatung und mut

der mutigste schritt besteht wahrscheinlich darin, sich einzugestehen, dass man allein nicht weiterkommt und hilfe benötigt. denn unsere gesellschaft ist zwiespältig in bezug auf zu erbringende leistungen. schreiben wird sehr einseitig gelehrt. der schwerpunkt liegt auf schönschrift und grammatik, andere formen der lehre tauchen nur selten auf. gleichzeitig wird jedoch erwartet, dass in bestimmten situationen das schreiben und formulieren von allein funktioniert. alle gehen davon aus, dass man sich nur ein wenig zusammenreissen müsse und schon läuft es wie beim aufsatz-schreiben in der schule.

ich möchte hier keine drohgebilde produzieren. ja, es kann so einfach laufen, und das ist schön. aber das schreiben kann auch schwer fallen. wenn aber alle drumherum zu verstehen geben, dies dürfe nun wirklich nicht das problem sein, dann fängt man an, sich zu fragen, was man nur falsch mache. der nächste schritt, nämlich zu sagen, ich brauche hilfe, bei mir läuft das nicht so locker, wie es andere formulieren, ist ein erschwerter.

es hat sich bei uns noch nicht etabliert, davon auszugehen, dass man schreiben auch in bezug auf die ideen und die kreativität lernen kann. hier schwirrt die schriftstellerInnen-aura durch die vorstellungen: entweder man habe talent oder eben nicht, einen ansprechenden und lebhaften text produzieren zu können. im job und in den wissenschaften sei dies sowieso nicht so notwendig. mutig ist es, sich aus diesen vorstellungen freizustrampeln.

mutig ist es auch, den nächsten schritt zu machen, sich beraterInnen zu suchen. zu telefonieren oder zu mailen, um einen termin zu vereinbaren, und dabei immer wieder seine schreibgeschichte offen zu legen. es sich selber einzugestehen, dass man hilfe benötigt ist etwas anderes als dann auch noch unbekannten dritten von den persönlichen schwierigkeiten zu berichten. jedoch, ist dieser schritt geglückt, dann Weiterlesen

biografisches schreiben und scham

wissenschaftler streiten weiter darüber, ob scham angeboren, anerzogen oder ein mix aus beidem ist. kann man sich an bestimmte erlebnisse und anblicke gewöhnen oder werden sie einen immer wieder in scham versetzen und unangenehm sein? schaut man sich die entwicklung der nachtclubs und die pornografisierung der gesellschaft an, dann ist eine veränderung denkbar. die welt könnte freizügiger werden, auch wenn in vielen erotisierungen schon wieder eine seltsame verklemmtheit verankert ist.

was hat dies nun mit biografischem schreiben zu tun? ganz einfach: jeder schreibende steht irgendwann vor der frage, wie viel seiner intimen erlebnisse und erfahrungen er preisgeben möchte. so lang die lebensgeschichte nur für einen selber notiert wird, so lang kann sich die scham im hintergrund halten. man notiert das, was man denkt. doch selbst dann, ähnlich wie beim tagebuch schreiben, überlegt man, ob nicht später einmal jemand das geschriebene in die hände bekommt, man dies nicht mehr kontrollieren kann, und die eigene person nackt vor den leserInnen steht.

darum notieren die meisten menschen keine details ihrer sexuellen begegnungen, keine überlegungen zu ihren fantasien und wenige unzensierte gedanken zu anderen menschen. das steht im widerspruch zu den dating-börsen im internet, die jegliches detail offenlegen, das den eigenen sexuellen interessen entspricht. scham kommt anscheinend immer dann ins spiel, wenn tiefe gefühle ins spiel kommen. denn wieso sollte ich in meinem tagebuch dinge notieren, die mich nicht berühren. aber bei einer dating-börse geht es um angebot und nachfrage und nicht unbedingt um aktuelle gefühlslagen gegenüber einzelnen personen.

noch schwieriger wird die frage der scham, wenn man sich entscheidet mit der eigenen lebensgeschichte an die öffentlichkeit zu gehen. wie gut sollen einen die anderen menschen kennenlernen? viele biografien bilden nur die fassade der eigenen bedürfnisse ab, aber nicht die bedürfnisse selber. Weiterlesen