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kreatives schreiben und sonne

nun, zur zeit sieht der himmel anders aus. ein grobes grau zieht über das land hinweg. aber bald, bald soll die sonne hervortreten und einen vorgeschmack von sommer bringen. bis dahin, kann man sich überlegen, wie sich die sonne mit dem kreativen schreiben verbinden lässt?

der einfachste weg: man geht zum schreiben raus. wenn die sonne scheint und die temperaturen es zu lassen, dann lohnt sich ein besuch im grünen, ganz gleich ob allein oder mit einer schreibgruppe. unter den gesichtspunkten des kreativen schreibens handelt es sich dabei um einen perspektivwechsel. man kann zum beispiel erst ort vor dem haus durch das fenster beobachten und darüber schreiben. dann begibt man sich vor das haus und nimmt die veränderten eindrücke auf, bringt sie zu papier.

so lang die sonne keine drückende hitze mitbringt, entspannen sich die menschen zusätzlich. man kann als schreibender mensch stimmungen auffangen und die reaktionen auf das wetter beobachten. oder man begibt sich an typische orte für sonnige tage: strassencafes, freibäder, seen und gärten. auch aus dieser perspektive lassen sich ideen und geschichten einfangen.

es gibt viele weitere möglichkeiten, wie die sonne ins kreative schreiben eingebunden werden kann. erstaunlicherweise erhält der mond in gedichten oder geschichte, gefühlt mehr bedeutung als die sonne. machen sie doch einmal einen sonn(en)tag zum schreibthema. was ist die sonne überhaupt? welche wirkungen hat sie? (wüste, schneeschmelze, erblühen, austrocknen, verhungern, wärme …). schreiben sie ein sonnengedicht. suchen sie worte mit „sonne“ und nutzen sie diese als schreibanregung (sonnenschirm, sonnenstrahlen, sonnenbrand, sonnenuntergang, sonnenaufgang …)

folgen sie der sonne beim schreiben in ihrer bewegung. setzen sie sich zum beispiel an einen ort und notieren sie ihre eindrücke im stundentakt von Weiterlesen

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schreibidee (341)

um das eigene schreiben weiterzuentwickeln, empfiehlt sich der perspektivwechsel beim schreiben. das schärft den blick für ereignisse, für kleinigkeiten und für außergewöhnliche situationen. man kann abseits der üblichen zwischenmenschlichen perspektiven, auch etwas absurdere haltungen einnehmen. darum dieses mal eine schreibanregung zu „geschichten aus der perspektive eines handtuchs“.

zum beginn der schreibgruppe kann die gruppenleitung verschiedene handtücher mitbringen, um ein gespür für die vielfalt der stoffstücke zur abtrocknung zu geben. die schreibgruppenteilnehmerInnen werden dazu eingeladen, sich zu überlegen, was für ein handtuch sie gern wären (es kann sich auch um geschirrhandtücher oder handtücher in krankenhäusern und hotels handeln, selbst papierhandtücher sind eine möglichkeit). die teilnehmerInnen beschreiben sich als handtuch auf maximal zwei seiten und die texte werden in der schreibgruppe vorgetragen.

im anschluss soll der alltag dieses handtuchs, das sie sind, beschrieben werden. wie werden sie genutzt? mit was oder wem kommen sie in berührung? wie fühlt sich das an? was sehen sie als handtuch in ihrer umgebung (was erlebt zum beispiel ein sauna-handtuch?)? die schreibenden formulieren eine kleine geschichte zum alltag eines handtuchs. dabei können veschiedene situationen beschrieben werden, können gedanken und gefühle des handtuchs wiedergegeben werden oder können dialoge mit anderen gegenständen stattfinden. die bandbreite ist groß. die texte werden vorgetragen und es findet eine kurze feedbackrunde statt.

gemein wird es für handtücher, wenn sie zweckentfremdet werden. eine situation, die häufiger vorkommt, die der mensch achtlos vollzieht, die aber dem handtuch schmerzen bereiten kann, es emotional verletzt 😉 nun soll von den schreibgruppenteilnehmerInnen die zweckentfremdung in einer kleinen geschichte beschrieben werden. die geschichten werden anschließend in der schreibgruppe vorgetragen. sie sind aber nur die vorbereitung auf die eigentlich große geschichte.

denn im leben eines handtuchs kommt es mindestens einmal zu einem außergewöhnlichen ereignis, an das sich das handtuch sein leben lang erinnern wird. die schreibenden formulieren eine story, in der das handtuch eine wichtige oder außergewöhnliche rolle spielt. ob dies nun während des normalen handtuchdaseins oder während einer zweckentfremdung geschieht, bleibt den teilnehmerInnen überlassen. die geschichten werden in der schreibgruppe vorgetragen und es findet eine feedbackrunde statt, die eventuell das verständnis für die perspektiven eines handtuchs verbessern.

schreibidee (312)

mehrere sinnesorgane geben uns ein bild der welt, das mehr als drei dimensionen abdeckt. wir sind mehr als visuelle wahrnehmung, auch wenn und das internet glauben machen will, die visuelle dimension sei die wichtigste. am meisten vernachlässigt in unserer bewussten wahrnehmung wird die nase, wenn wir nicht gerade mit stechenden gerüchen konfrontiert sind. da die nase aber unser weltbild im hintergrund in beträchtlichem ausmaß beeinflusst will dieses schreibidee zu „nasen-geschichten“ anregen.

dieses mal soll der blickwinkel der schreibgruppenteilnehmerInnen stark verändert werden. um einen einstieg zu finden, werden allen teilnehmerInnen die augen verbunden und geruchsproben gereicht. diese übung lässt sich am besten zu zweit durchführen. der einen person sind die augen verbunden und sie erhält eine geruchsprobe. dann diktiert sie der anderen person ihre assoziationen und eindrücke in stichworten. danach werden die rollen gewechselt, aber neue geruchsproben gereicht.

aus den notizen ihrer partnerInnen wählen die schreibgruppenteilnehmerInnen den für sie momentan interessantesten geruch aus, inzwischen wissen sie ja auch, was es war, und verfassen eine kurze geschichte dazu. die geschichten werden in der schreibgruppe vorgelesen, es findet aber keine feedbackrunde statt.

danach wird eine kleine entspannungs- und imaginationsübung gemacht, die vor allen dingen eine botschaft beinhaltet, sich vorzustellen nur eine große nase zu sein. also möglichst die anderen sinneseindrücke in den hintergrund zu drängen und sich auf die botschaften der nase zu konzentrieren. nun gehen die schreibgruppenteilnehmerInnen mit teilweise geschlossenen augen durch den raum oder die nähere umgebung und lassen die gerüche auf sich wirken. zwischendurch werden kurze notizen gemacht. was hat man gerochen? wie fühlte es sich an? an was erinnerte einen dieser geruch vielleicht?

zum abschluss wird nun eine geschichte geschrieben, in der die handlung und dinge vor allen dingen in form von gerüchen beschrieben werden. die nasen-geschichte ist also eine geruchs-story. wie die schreibgruppenteilnehmerInnen dies umsetzen, bleibt ihnen überlassen. es kann spannend sein, was dabei für olfaktorische bilder entstehen. alle versuchen ihre umwelt möglichst ausschließlich mit der nase zu erfassen.
anschließend werden die geschichten vorgelesen und es findet eine feedbackrunde statt. dabei sollte der fokus auf der umsetzung der beschreibung von gerüchen liegen. anschließend kann man ja vielleicht gemeinsam in einen parfum-shop gehen 😉 .

schreibidee (293)

was war zuerst da, das ei oder das huhn? die klassische frage lässt sich wahrscheinlich nie klären, lenkt den blick aber auf die grundlage unseres lebens. wir waren mal ein fischei, dann ein froschei oder dergleichen mehr. gut, flügel hatten wir wohl nie, aber aus einem ei reifen wir immer noch heran. also zeit, dass in diesem blog endlich zum schreiben von „eiergeschichten“ angeregt wird.

besonders gut lässt sich diese schreibidee durchführen, wenn man räume zur verfügung hat, die über eine kochgelegenheit verfügen. auf alle fälle sollte die schreibgruppenleitung für alle teilnehmerInnen mindestens ein ei besorgen. die rohen eier werden zu beginn an die teilnehmerInnen verteilt. dann werden von allen kurze texte von maximal einer seite zum rohen ei, das vor ihnen liegt verfasst.

anschließend bekommen alle teilnehmerInnen ein schälchen, in das sie das ei schlagen können. abermals wird zu eiweiß und eigelb ein kurzer text von maximal einer seite verfasst. danach werden die eier in eine größere schüssel gegeben und es wird daraus rührei gemacht. im vorfeld sollte gefragt werden, ob alle teilnehmerInnen davon essen wollen. jedenfalls bekommen alle ein tellerchen mit rührei und sollte vor dem essen oder danach abermals einen kurzen text von maximal einer seite dazu verfassen. nun werden jeweils alle drei kurzen texte vorgelesen.

dann notieren sich die schreibgruppenteilnehmerInnen, was man mit eiern noch alles machen kann: von ostereiern bis zu wurfgeschossen auf unliebsame zeitgenossen. im anschluss wird eine längere geschichte geschrieben, in der das ei eine wichtige rolle spielt (dies können auch dialoge sein, wie sie zum beispiel loriot zum hartgekochten ei verfasst hat). die geschichten werden vorgetragen und es findet eine kurze feedbackrunde statt.

zum abschluss wird ein perspektivwechsel vorgenommen. es ist eine geschichte aus der perspektive eines eis zu schreiben. da kann die evolutiongeschichte neu formuliert werden, man kann in die rolle eines froscheis schlüpfen oder eben die tortur in der küche beschreiben. die eiergeschichten werden anschließen vorgetragen und es findet eine feedbackrunde statt. sollten dann alle noch nicht genug cholesterin zu sich genommen haben, kann man aus weiteren eiern noch eierspeisen zaubern.

schreibpädagogik und blickwinkel

es gibt zwei aspekte bei der frage, welche rolle der eingenommene blickwinkel bei der schreibpädagogik spielen kann. zum einen kann man die schreibgruppen oder einzelnde schreibende anregen, einmal einen anderen blickwinkel einzunehmen. zum anderen kann man seinen eigenen blickwinkel auf die schreibenden und ihre texte verändern, aus einer anderen perspektive einen blick darauf werfen.

den blickwinkel der schreibenden verändern. die bekannteste variante ist sicherlich, verschiedene geschichten zu verfassen mit mehreren protagonisten. dabei wird die geschichte jeweils aus der sicht eines protagonisten erzählt. man nimmt beim schreiben immer wieder eine andere rolle in der geschichte ein. dann kann man noch den beobachtenden schreiber geben, der den überblick über alle geschehnisse hat und sogar eine ahnung vom ausgang der erzählung vermitteln.

daneben kann man aber auch „zoomen“, aus der entfernung beschreiben, ganz nah herangehen an das geschehen. man kann einen gegenstand beobachten lassen, dem gegenstand leben einhauchen und seine rolle einnehmen. es gibt viele varianten, wie der blickwinkel beim schreiben ein und desselben geschehnisses verändert werden kann.

als schreibpädogInnen kann man den schreibgruppen die anregung geben, jeweils den blickwinkel zu verändern. man kann die entstandenen texte vergleichen lassen. dadurch entwickelt sich bei den teilnehmenden ein gespür für die veränderten sichtweisen. wenn man dann dem blickwinkel eine emotion hinzufügt, dass zum beispiel protagonist eins gerade von seiner frau verlassen wurde, dann ergeben sich immer differenziertere geschichten und szenen.

das einnehmen eines veränderten blickwinkels kann den schreibenden zum beispiel beim szenischen schreiben ein gefühl für dialoge geben, da jeder protagonist in seine äußerungen die eigene sicht einfließen lässt. oder es lässt sich ein mosaik eines geschehnisses erstellen, dass die sicht auf das eigentliche geschehen langsam darstellt. der perspektivenwechsel kann einer geschichte erst ihre spannung geben. dies sollte in schreibgruppen vermittelt werden. die schreibpädagogik entwickelt dazu die schreibanregungen und -ideen.

die veränderung des eigenen blickwinkels. hierbei geht es um einen ganz anderen aspekt. wenn man eine schreibgruppe anleitet, begegnet man meist verschiedenen subjekten, die schon unterschiedliche gründe haben, weshalb sie überhaupt schreiben wollen. Weiterlesen

schreibidee (159)

astronauten schwärmen vom blick auf die erde, die plötzlich so klein vor ihnen schwebt und wunderschön aussieht. wahrscheinlich ist es umgekehrt sehr ähnlich und die kleinen lebenwesen in ihrem haushalt schwärmen von der farbausstrahlung ihres handgeknüpften wohnzimmerteppichs. könnte man sich ganz klein machen, sähe die welt ganz anders aus. darum versucht diese schreibidee in „schrumpf-geschichten“ eine andere perspektive einzunehmen.

um den einstieg in den perspektivwechsel zu erleichtern, wird zum einstieg die ameise als beispiel herangezogen. dieses tier ist den meisten menschen bekannt und seine lebensweise wird gern mit der unsrigen verglichen. darum werden die schreibgruppenteilnehmerInnen aufgefordert auf einer din A 4 seite den „tagesablauf“ einer ameise zu notieren. was ist zu tun, wie wird nahrung besorgt und welche widrigkeiten tauchen auf?

nun begeben sich alle in die rolle einer ameise und versuchen, die welt mit ihren augen zu sehen. das stimmt natürlich nicht ganz, da das ameisenauge ein wenig anders funktioniert als das menschlich, doch die einnahme des blickwinkels einer ameise kann helfen, sich gedanklich zu schrumpfen. was sieht zum beispiel eine ameise, wenn sie um ihre kaffeemaschine herumläuft, vielleicht gerade die filtertüte gefüllt wird und ihr zwischendurch kaffeekrümel wie gesteinsbrocken vor die füsse fallen? oder wie sieht eigentlich ihr wanderschuh für eine ameise von unten aus? es sollen mindestens zwei alltagsgegenstände aus der perspektive eine ameise auf jeweils einer halben seite beschrieben werden.

jetzt können die schreibenden den körper der ameise verlassen und sich selber gedanklich auf insektengröße schrumpfen lassen. welche abenteuer erleben sie entweder in ihrem eigenen haushalt oder auch im seminarraum. es werden längere geschichten verfasst, die anschließend in der schreibgruppe vorgelesen werden. und sollte genügend zeit vorhanden sein, kann noch gemeinsam der film „liebling, ich habe die kinder geschrumpft“ angeschaut werden.

schreibaufgabe (20)

eine der spannendsten übungen für das kreative schreiben ist der perspektivwechsel. dabei kann man oft feststellen oder aus eigener erfahrung einbringen, dass zwei menschen, eine gemeinsame situation sehr verschieden erleben können. deshalb sollen dieses mal „paarblicke“ verfasst werden.

zwei menschen, möglichst ein paar, erleben etwas gemeinsam. entweder eine alltägliche situation, z.b. einkaufen im supermarkt oder einen streit, eine liebeserklärung, eine hochzeit, einen unfall, eine überraschung…

nun sind zwei innere monologe zu verfassen, die gedanken der beiden zu notieren, und nebeneinander zu stellen. wie erleben die beiden jeweils die situation, was geht ihnen durch den kopf? unterscheiden sich beide wirklich so sehr, wie es oft den anschein hat, oder sind ihre überlegungen doch ähnlicher als man vermutet. die freiheit der perspektiven kann voll ausgeschöpft werden und der fantasie sind keine grenzen gesetzt.

jeder text darf maximal 500 wörter enthalten. und dann mal sehen, wie einfühlsam die paare miteinander umgehen 😉

schreibaufgabe (20) – ergebnis von susie heiß – feedback erwünscht

Adeles Sicht:

Hoffentlich hatte ich die Karten auch in meine Tasche gesteckt. Ich schaue lieber nochmals nach. Geldbörse, Taschentücher, Haustürschlüssel, Handy – hatte ich das eigentlich bereits auf stumm gestaltet? Dann mach ich das besser mal gleich, ah, gut erledigt – Taschenspiegel, Handcreme. Wenn Alfons nur noch so rasant fahren würde. Dabei haben wir es ja noch nicht mal so eilig. Die Oper beginnt erst in einer Stunde, uns bleibt sogar noch Zeit für ein Glas Sekt vorweg. Lippenstift, Haarbürste, Regenschirm – wobei es ja eigentlich nicht regnen sollte heute Nacht, bei dem klaren Himmel – Monatsprogramm des Stadttheaters, mein Kalender. Keine Karten. Ich hatte sie doch eingesteckt, wo waren sie nur? Alfons verstand mein Unbehagen natürlich mal wieder gar nicht. 

„Die hast du schon irgendwo, Liebes“, sagte er und fetzte mit 70 Sachen in die nächste Kurve. 

„Gott gütiger, Alfons, wir sind schließlich in der Stadt. Meines Wissens nach ist hier immer noch 50 erlaubt.“ 

Alfons grummelte. Wie immer, wenn er wusste, dass ich recht hatte. Dennoch drosselte er die Geschwindigkeit, als ich mich bei der nächsten Kurve ganz demonstrativ an den Handgriff oberhalb der Tür hing und ein „aaahhhh“ von mir gab. Gut, vielleicht hatte ich mich auch etwas zu sehr mit in die Kurven gelegt. Trotzdem. Nicht umsonst gab es eine Geschwindigkeitsbegrenzung. Nachdem Alfons endlich in gemäßigterem Tempo fuhr, wühlte ich nochmals in meiner Tasche. Das darf doch nicht wahr sein. 

„Ich glaube, ich habe sie tatsächlich zuhause auf dem Küchentisch liegen lassen.“ 

„Hast du nicht, Liebes“, erwiderte Alfons beharrend. „Du hast sie in dein Portemonnaie getan, direkt hinter dein Monatsticket.“ 

Seufzend schaute ich dort nach und murmelte ungläubig vor mich hin: „Das kann ich mir zwar nicht vorstellen, da würde ich sie doch nie…“ 

Die letzten Worte kamen mir nicht mehr über die Lippen, denn in meinen Händen hielt ich tatsächlich die zwei Karten für Verdis Aida. Ich seufzte. 

„Ach, da bin ich aber froh. Sonst hätten wir noch zurück fahren müssen, und dann wäre doch alles etwas knapp geworden.“ 

Zufrieden und beruhigt schloss ich den Reißverschluss meiner kleinen Handtasche – allerdings nicht ohne vorher nochmals mein Gesicht in dem kleinen Taschenspiegel zu betrachten. Die Lidschatten waren zum Glück nicht verschmiert, wobei ich ja nicht so der Held war im Schminken. Noch dazu in meinem Alter. Rosalie, meine gute Freundin schon aus Schulzeiten, zetert ja immer mit mir und meint, mit über 70 müsse man sich nicht mehr schminken. 

„Wenn man jetzt keinem mehr gefällt, dann ist es eh zu spät.“ 

Recht hatte sie eigentlich. Trotzdem. Verwahrlost in die Oper zu gehen, das geht nun tatsächlich nicht. Den Lippenstift zog ich nach und war froh, dass Alfons ruhig auf den Parkplatz fuhr. Eine Lippenstiftspur über die Wangen hätte ich nicht gebrauchen können. Galant wie immer hielt Alfons mir die Tür auf. Gut sah er aus in seinem Smoking. 

„Danke“, hauchte ich. 

Auch wenn sein Kuss etwas von meinem Lippenstift wegnahm, so war mir dies jeder Kuss von Alfons wert.

 

Alfons Sicht:

Zum Glück hatte ich rechtzeitig zum Abmarsch plädiert. Ich kannte Adele ja zwischenzeitlich. Auch wenn sie sicherlich nicht so lange brauchte wie andere Frauen: etwas Zeitpuffer hatte noch nie geschadet. Kaum saßen wir im Wagen und waren aus der Einfahrt raus, ging es auch schon los. 

„Habe ich die Karten auch wirklich eingesteckt? Ach halte doch nochmals kurz an.“

Und ich hielt nicht an, denn ich wusste ganz genau, dass dies zum ewigen Spiel gehörte, ebenso wie die Frage: „Habe ich jetzt auch die Haustür abgeschlossen oder sie nur ins Schloss fallen lassen?“, wenn wir ins Wochenende fuhren oder der Klassiker vor dem Urlaub: „Ich hoffe, ich habe jetzt auch den Herd ausgeschaltet. Hast du nochmals nachgeschaut, Alfons?“

Habe ich. Immer. Nur, dass ich noch wusste, dass ich nachgeschaut hatte, während meine liebe Frau es anscheinend bereits zehn Minuten nachdem sie es getan hatte, selbst nicht mehr wusste. Ich schüttelte mich mal wieder über die Frauen wundernd den Kopf.

Eine Haarbürste fiel in den Fußraum. Sie suchte. Suchte noch immer diese Karten, dabei hatte sie sie doch in ihre Geldbörse getan – wie immer eben. Ich lies sie erstmal suchen. Auf diese Weise konnte ich immerhin den neuen Mercedes in der Stadt ausfahren. Schnittig war er, da hatte Klaus wieder recht gehabt. Und so wendig, selbst bei kleineren Kurven. Da merkte man halt doch noch, dass das Auto gute deutsche Wertarbeit war und nicht so ein Produkt aus dem Ausland. Denen war ja nicht immer zu trauen. Und Sicherheit wog natürlich ebenso hoch wie das Fahrgefühl. Das sagte ich auch Adele immer, wenn sie über den bezahlten Kaufpreis stöhnte. Trotzdem – auch sie saß gerne drin. Das wollte sie nur nicht zugeben. 

Wieder kam Gemurre vom Nachbarsitz. Fahr nicht so schnell – ja, ja. Die gleiche Leier, auch das war ich eigentlich schon gewohnt. Macht nichts. Manches muss man bei Frauen einfach ignorieren, hatte mein Vater immer gesagt. Und nach diesen Spielregeln lebte ich und war nicht schlecht gefahren. 

Irgendwann wurde mir Adeles Suche aber doch zu dumm. Nachher hätte sie noch umdrehen wollen, und ich hätte mein Vor-Opern-Bier verpasst. Also half ich ihr auf die Sprünge – und: hatte wie immer Recht. Unsere Karten fand sie in ihrer Geldbörse. Immerhin gab sie dann ein Weilchen Ruhe und konzentrierte sich auf das, was sie am besten konnte: auf sich. 

Ich hingegen freute mich an der Leistung des Wagens: 160 PS, schwarz-metallic, Fahrleistung bis zu 230 Kilometer die Stunde – nicht, dass ich jemals in den Genuss käme, diese mit Adele an meiner Seite auszufahren, aber immerhin: Die Freude darüber war groß. Dabei hatte ich Adele bei einem Straßenrennen in Wanne-Eickel kennen gelernt. Und sie wollte keinen geringern heiraten, als den damaligen Schnelligkeitsmeister der Straße. 

Ach, das war lange her. Heute fahren wir in die Oper statt Rennen auf Straßen. So ist das Alter. Ich parkte und hielt Adele die Beifahrertür auf. Gekonnt glitt sie aus dem Wagen. Wie immer sah sie umwerfend aus. Und ich war froh, dass wir es mal wieder zeitig für das Vor-Opern-Bier geschafft hatten.