Schlagwort-Archive: reflexion

biografisches schreiben und zufall

man mag es zufall oder schicksal nennen (obwohl schicksal meist mit negativen erlebnissen in verbindung gebracht wird), unser leben verläuft meist nicht ganz so kontrolliert, wie wir das gern annehmen. bewusst wird uns dies in sehr außergewöhnlichen oder gar dramatischen momenten. wenn man zum beispiel einer katastrophe entgangen ist, weil man in einen anderen zug, ein anderes flugzeug oder dergleichen mehr gestiegen ist. manch einer mag da zwar ausrufen „ein zeichen, ein zeichen!“, doch auch die zeichen sind von uns nicht beeinflussbar.

spannend wird die diskussion über die zufälle in unserem leben durch manche behauptungen aus der genetik, der hirnforschung und der zwillingsforschung. hier wird in vielen zusammenhängen der „freie wille“ in frage gestellt. doch die diskussion scheint müßig, da viele erkenntnisse zwar darauf hinweisen, dass mehr unbewusstes unsere entscheidungen beeinflusst als bisher angenommen, aber es nicht die fähigkeit, entscheidungen aufgrund der uns zur verfügung stehenden informationen in frage stellt.

so wandeln wir zwischen selbstüberschätzung und ohmacht durch unsere alltag. im biografischen schreiben können wir zumindest einen blick darauf werfen, welche ereignisse unseres lebens uns zufällig schienen und wie weit sie unsere zukunft beeinflusst haben. sicherlich erinnert man sich nur an die „großen“ zufälle, die wirklich eine bedeutung hatten. aber dies sind auch oft die momente, die unser leben spannend machen. wie weit waren wir bereit, entwicklungen in unserer lebensgeschichte dem zufall zu überlassen? wo haben wir uns besonders angestrengt, die richtung unserer entwicklung zu steuern, und wie fruchtbar oder unfruchtbar war dies? haben unsere erfahrungen mit zufall und Weiterlesen

Werbung

wortklauberei (103)

neuromarketing

da ich hier im blog gerade so in fahrt komme, mich über die neurowissenschaften und die neuropsychologie zu echauffieren, greife ich doch gleich einmal eines der aktuellen gruseligen worte auf. angeblich liegt der trend der zeit im „neuromarketing“. nun kann man ja schon über die disziplin „marketing“ streiten, deren einziges ziel es ist, viel von einem produkt zu verkaufen, mit allen mitteln, die recht sind.

nein, bei neuromarketing kann man weder werbung noch anreize für den kauf von gehirnen oder nervenzellen finden. vielmehr geht es darum, tricks und techniken zu entwickeln, die kundInnen willenlos machen und ein bestimmtes produkt kaufen lassen. dabei stützen sich die marketing-expertInnen auf erkenntnisse aus den neurowissenschaften oder geben dementsprechende forschung in auftrag. letztendlich soll herausgefunden werden, welche unterschwelligen manipulationstechniken zum kauf eines produkts führen könnten. dazu werden augenbewegungen und hirnscans im mrt (magnetresonanztomographen) durchgeführt.

es wird geschaut, welche bilder, farben, gerüche oder texturen welche hirnregionen aktivieren. sollte man die „einkaufs-„ oder „haben-wollen“-region im gehirn mit produkteigenschaften koppeln können, dann hat man das richtige instrument gefunden. zum glück funktioniert das, wie vieles im marketing und in der werbung, nicht ganz so reibungslos, wie man es gern hätte. der mensch reflektiert einfach zu viel und ist schwer zu dressieren.

jedoch werden immer mehr läden und passagen mit duftzerstäubern aufgerüstet, um unterschwellig emotionen auszulösen. ebenso werden produkte dementsprechend eingefärbt, platziert und verpackt, um dadurch unterschwellig einen (kaufan)reiz zu geben. all diese versuche basieren auf statistischen neurowissenschaftllichen experimenten. ich plädiere dafür „marketing“ einfach durch „manipulation“(sversuch) zu ersetzen. denn damit benennt man wirklich, worum es geht, um neuromanipulation.

mein computer und ich – eine umgangslehre (16)

lernen und lehren

faszinierend, wie wenig nutzerInnen die hochtechnologie, die sie verwenden, kennen. eigentliche tappen die meisten im dunkeln, was ihren computer angeht. das lässt sich weiterführen: die meisten tappen auch im dunkeln, was ihr auto angeht, denn dieses fährt inzwischen einen computer spazieren. das ist alles erst einmal nicht tragisch. die meisten menschen wissen auch nicht, wie man artgerecht ein schwein großzieht. ich muss also nicht alle abläufe kennen, um von ihren produkten profitieren zu können – das nennt sich arbeitsteilung.

doch bleiben wir einmal beim schwein. auch wenn ich die abläufe nicht kenne, wie ein schwein auf den teller kommt, so diskutiert unsere gesellschaft schon länger über antibiotika im fleisch, über fettreiche und fettarme nahrung, über tierhaltung und vieles mehr. wir diskutieren also darüber, welche auswirkungen die nahrung und ihre produktion auf uns hat. sie können jeden menschen fragen, alle haben eine meinung zu schweinefleisch.

anders sieht es beim computer aus. die produktion der computer kennen die wenigstens, diskurse über seine nutzung führen nur die egoshooter-und internetsucht-fraktionen, vielleicht nur datenschützer. es mag ein verdienst der piraten-partei sein, überhaupt einen weitergehenden diskurs über den nutzen und den schaden einer digitalisierung ins leben gerufen zu haben. wenn sie menschen zu ihrer haltung gegenüber dem computer befragen, begegnet ihnen viel skepsis, sie vernehmen eher glaubensbekenntnisse, denn eine position, die aus diskursen entstanden ist.

und so wird auch eher die anwendung des computers gelehrt – wie gehe ich mit word, excel oder linux um? – denn die anwendung reflektiert. ach doch, beim urheberrecht, da hört der spaß auf, da wird fleissig diskutiert – hier geht es auch ums geld. aber wer reflektiert schon die vorteile und nachteile eines computers? wer lernt in der schule, Weiterlesen

schreibberatung und bewusstes

beratungen haben zwei funktionen: zum einen den status quo differenziert zu betrachten und zum anderen handlungsmöglichkeiten für veränderungen zu erarbeiten. dabei kann es passieren, dass allein die aufschlüsselung des status quo plötzlich zu neuen erkenntnissen führt. es handelt sich um keine wunder, die in diesen momenten geschehen, sondern um die veränderung der blickwinkel und die bewusstwerdung einzelner aspekte.

man wusste zum beispiel schon immer, dass man bei anstehenden schreibaufgaben gern die küche von oben bis unten putzt und aufräumt, wäsche wäscht oder liegengebliebenes in aktenordner sortiert, nur um nicht den schreibprozess zu starten. bis zur schreibberatung war einem aber nicht bewusst, welche mechanismen einen eigentlich dazu bringen, dem schreiben so sehr auszuweichen.

doch wenn man anfängt aufzulisten, welche momente zu den ausweichhandlungen führen, wenn man sich in diesen momenten notiert, was man gerade denkt und wenn man über die angst, einen text zu verfassen, selbstreflexionen schreibt, dann schlüsseln sich oft die mechanismen stück für stück auf und man kann gegensteuern. da werden einem zum beispiel negative erwartungen, die man durch schule und erziehung erfahren hat, bewusster. oder man erkennt die momente, in denen die ausweichhandlungen starten, man weiß um die ganz konkreten auslöser und kann sie das nächste mal umgehen.

für diese entwicklungen in einer beratung bedarf es also keiner besonderen tricks oder geheimnisvoller mechanismen. es bedarf nur einer neutralen person, die von außen die angemessenen und konkreten fragen stellt, um sich seiner selbst bewusster zu werden. im nachhinein wundern sich viele menschen, weshalb sie nicht selber auf diese fragen gekommen sind, warum es ihnen nicht von allein bewusst wurde, wie sie ihren ausweichhandlungen ausweichen können.

und in diesen momenten kommt wieder das verdrängen ins spiel, dass ja auch einen schutz darstellt. wir schützen uns vor der „wahrheit“ oder Weiterlesen

biografisches schreiben und lust (2)

über die lustvollen erlebnisse im eigenen leben wurde hier schon nachgedacht und darüber wie man sie in die eigene biografie einbinden könnte (siehe https://schreibschrift.wordpress.com/2009/06/15/biografisches-schreiben-und-lust/). doch dieses mal möchte ich den blick auf die lust am biografischen schreiben lenken, denn die beschäftigung mit dem eigenen leben hat auch eine sehr angenehme komponente, mit der wenige rechnen.

beim biografischen schreiben geht es nicht nur darum, vergangenheiten aufzuarbeiten, verdecktes offenzulegen und erinnerungen zu reaktivieren. es geht auch darum, sich seiner zu vergewissern, also für sich selbst eine haltung zu finden, die nicht mit vergangenem hadert. oft wird erklärt, dass der schritt dorthin anstrengend und schwer sei. sich all die widrigkeiten zu vergegenwärtigen, um sie loszulassen, koste viel energie und es gehe einem dann nicht immer gut. das ist möglich, doch oft genug ist das gegenteil der fall.

die schönen momente im leben vergessen wir gern schneller, als die widrigen. das schmerzhafte und problematische bleibt anscheinend besser im langzeitgedächtnis haften und scheint leichter abrufbar zu sein. fragen sie einmal andere menschen, welches die eindrücklichsten erlebnisse in ihrem leben waren und sie bekommen oft traumatische ereignisse geschildert. viele schreibtechniken des biografischen schreibens können aber auch darauf angewendet werden, sich verstärkt an die schönen dinge der eigenen biografie zu erinnern.

und plötzlich fällt menschen auf, wie viele schöne momente sie erlebt haben. es geht mir hier nicht um vorstellungen des „positive thinking“, sondern um das gleichgewicht Weiterlesen

wissenschaftliches schreiben und selbstreflexion

das wissenschaftliche schreiben bietet in den vorstellungen vieler erst einmal keinen anlass zur selbstreflexion. man hat ein vorgegebenes oder gewähltes thema, man hat seine untersuchungs- und forschungsergebnisse und man verfasst den dazu notwendigen text. doch viele schreibende geraten exakt in diesem moment des schreibens in einen strudel aus unsicherheit, zweifeln und aufschiebende verhaltensweisen.

gründe für dieses verhalten wurden hier schon öfter thematisiert und im zusammenhang mit dem thema „schreibberatung“ angesprochen. wichtig erscheint es mir, noch einmal gesondert auf die chancen selbstreflexiver schreibanregungen einzugehen. denn in dem moment, in dem das schreiben eines wissenschaftlichen textes nicht mehr so flüssig vonstatten geht, wie man sich das wünscht, in diesem moment werfen einen gedanken und gefühle gern auf eine selbstkritische struktur zurück.

erst einmal spricht nichts gegen eine selbstkritische haltung. doch sie kann so ausgeprägt zu tage treten, dass sie weiteres schreiben verhindert und erschwert. die menschen lassen in diesen momenten kein gute haar mehr an sich. sie entwickeln eine gedankenschleife, die oft in den resümee enden, dass man alles noch besser machen könne und damit das eigene versagen schon vorprogrammiert wäre. dies ist auch eine form der selbstreflexion, die aber teile der realität aus den augen verloren hat.

ja, man kann jeden text, jede wissenschaftliche arbeit noch besser machen. aber gleichzeitig kommt man nicht drumherum festzustellen, dass die zeit für die erstellung der texte beschränkt ist und dass man sich auf sein arbeitsaufgabe beschränken muss. das gefühl der unzulänglichkeit bei der erfüllung einer wissenschaftlichen aufgabe, lässt sich durch selbstreflexive schreibanregungen teilweise wieder Weiterlesen

mein computer und ich – eine umgangslehre (01)

eine neue rubrik in diesem blog, die ich in nächster zeit füttern möchte. es geht um den bezug zum eigenen computer, zum internet oder zur digitalen welt überhaupt. denn inzwischen befinden sich in vielen geräten kleine computer und wir verlagern viele unserer tätigkeiten zur arbeit mit dem computer hin. dies kann unsere haltung und unser denken beeinflussen. wir alle sind aufgefordert, einen umgang mit der digitalisierung zu finden. das scheint manchmal leichter gesagt als getan. darum sollen hier einzelne aspekte zum umgang mit computern und ihren ablegern betrachtet werden. angeregt wurde diese rubrik durch diskurse im seminarabschnitt „schreiben am computer“ im rahmen des studiengangs „biografisches und kreatives schreiben“ an der alice-salomon hochschule in berlin.

bedeutung

computer haben eine bedeutung, eine gesellschaftliche bedeutung, die über verschiedene wege vermittelt wird: über medien, in schulen, durch erziehung und durch die politik im weiteren sinne. computer werden inzwischen für unentbehrlich zur aufrechterhaltung unseres lebens erklärt. würden alle computer ausfallen, wären wir laut diverser vermutungen nicht mehr fähig, unseren alltag aufrechtzuerhalten. allein darüber erhalten computer eine hohe bedeutung.

doch es gibt noch mehr vorstellungen, was ein computer sein sollte. von manchen stellen wird formuliert, ein computer sei wie ein verlängerter arm des menschen. ein computer sei dadurch mehr als ein reines werkzeug, es stelle sich im laufe der zeit eine beziehung zwischen mensch und maschine ein. transportiert wird diese botschaft vor allen dingen durch die werbung und das internet. denn plötzlich wird der computer zu einem mitarbeiter bei der erstellung der sozialen kontakte zu anderen menschen. biografien werden ins internet transportiert um sie zu archivieren und ein leben lang zu bewahren.

der computer kommuniziert per rückmeldungen, fragen und vorschlägen mit einem. er sucht aus texten abschnitte heraus, er verbindet automatisch mit anderen geräten oder anbietern, er kontrolliert abläufe und vieles mehr. natürlich ist allen bewusst, dass der computer nur das macht, was ihm menschen einprogrammiert haben. aber im alltäglichen umgang erscheint der computer immer öfter als autonom handelndes wesen. darum finden interaktionen zwischen mensch und maschine statt, die über das übliche maß hinausgehen.

es gibt untersuchungen, die zeigen, dass menschen teilweise sehr emotional auf die maschinellen prozesse des computers reagieren. manch einer spricht mit seiner maschine und andere agieren ihre wut am gerät aus. dass dies so ist, hängt mit der großen bedeutung des computers zusammen. und es hat folgen: reaktionen auf lücken, fehlfunktionen oder verbindungsunterbrechungen sind nicht selten sehr emotional. menschen fühlen sich persönlich angegriffen. sie trennen nicht mehr zwischen einer maschinellen fehlfunktion und menschlicher verantwortung. entweder werden betreiber, herrsteller und administratoren persönlich angegangen oder es wird eine verteidigungshaltung eingenommen, wie wenn man von einem anderen menschen angegriffen würde.

bekommt das fahrrad einen platten, würde man sicherlich nicht den hersteller des rades dafür verantwortlich machen (nur wenn es schon platt ausgeliefert würde), aber man würde auch nicht beständig die schuld im eigenen fehlverhalten suchen oder sich von außenstehenden zuschreiben lassen. doch beim computer mutiert über die gesellschaftliche bedeutung jede fehlfunktion zu einem persönlichen versagen des einen oder anderen menschen. hier lohnen ein schritt zurück und blick aus der distanz. der umgang mit digitalen geräten entspannt sich ab dem moment enorm, ab dem klar differenziert wird zwischen technischen fehlfunktionen und persönlichem fehlverhalten. dies sollte man sich immer wieder vor augen führen, wenn man das ding gerade „aus dem fenster werfen“ möchte.

„schreibend lernen“ von gerd bräuer – ein buchtipp

dass schreiben mehr als nur das aneinanderreihen von von wörtern auf papier oder auf dem bildschirm ist, das habe ich hier oft beschrieben. doch was ist schreiben denn dann noch? gerd bräuer stellt in seinem buch „schreibend lernen – grundlagen einer theoretischen und praktischen schreibpädagogik“ die verbindung zur pädagogik und zu all den disziplinen her, in denen man im rahmen des lernprozesses schreiben muss.

dabei spannt er den bogen sehr weit und zeigt, dass beinahe jeder lernprozess durch diverse schreibtechniken, selbstreflexionen und gruppenarbeiten gefördert, verändert und vertieft werden kann. es geht ihm also nicht nur um die entwicklung im schreiben, sondern, um die ganzheitliche betrachtung, die alles andere aus dem umfeld und den lebensumständen einbezieht. schreiben (und seine pädagogik) sind sozusagen nur das vehikel, das den weg zu einem autonomeren lernen ebnet.

bei seinen betrachtungen bringt bräuer vor allen dingen erfahrungen aus dem amerikanischen und engschlischsprachigen raum ein und setzt sich mit den dort entstandenen theorien und praxisansätzen auseinander. denn die pädagogischen institutionen in den usa haben schon lang eine schreibkultur etabliert, die in ihrem rahmen einen diskurs über pädagogik und lehr-lern-verhältnisse entfachte. um es sehr verkürzt zu formulieren: wenn man erkennt, dass schreiben immer ein subjektiver prozess ist, dann wird auch lernen ein subjektiver prozess und die rolle der bewertung und beurteilung tritt in den hintergrund, denn wie sollen subjektive entwicklungen in einen notenkanon eingeordnet werden.

bräuer lenkt den blick von produktorientiertem schreiben („schreibe eine erörterung zu den thesen von xy!“) zu prozessorientiertem schreiben. dabei veröffentlicht er unzählige beispiele, schreibanregungen oder fragenkataloge für selbstreflexionen und selbstbefragungen. aus diesem pool lässt sich vortrefflich für sich selber als auch für lehrende oder lernende tätigkeiten schöpfen.

manchmal fragte ich mich beim lesen, ob der bogen der selbstreflexion nicht ein wenig überspannt wird, wenn man den schreibprozess dermaßen kleinteilig durchleuchtet. ob dies nicht ab einem bestimmten moment wieder vom „kreativen“ und „lustvollen“ schreiben und lernen abbringt vor lauter prozess-betrachtungen. irgendwann möchten vor allen dingen menschen, die noch wenige erfolge in ihren schreibbiografien erlebt haben, einen „erfolg“, ein „ergebnis“ in händen halten. ich möchte dabei die stete entwicklung und das lebenslange lernen auch über den schreibprozess nicht in abrede stellen, aber vielleicht muss nicht alles in einer ganzheitlichen selbsterfahrung enden.

doch ich kann das buch guten gewissens empfehlen, da es zu neuen betrachtungen des schreibprozesses anregen und diskurse verursachen kann, ganz abgesehen von den vielen praktischen vorschlägen, die zudem helfen, die theorie in die praxis zu tragen. das buch ist 1998 in innsbruck, wien beim studien-verlag erschienen. ISBN 978-3-7065-1308-1

biografisches schreiben und vorurteil

der mensch braucht nur einen bruchteil von sekunden, um sich ein erstes bild von einem anderen menschen zu machen. der erste eindruck hat eine enorme bedeutung. untersuchungen haben ergeben, dass vieles am intuitiven ersten eindruck zutrifft. anscheinend haben wir ein gespür dafür entwickelt wer freund, wer feind, wer angenehm und wer unangenehm für uns ist. und doch fallen diese entscheidungen nicht frei von gesellschaftlich vermittelten einstellungen aus. da mag es eine biologische reaktion geben, doch genauso gibt es eine emotionale, beeinflusste reaktion.

„fremdes“ erscheint oft bedrohlich. wie weit mir aber etwas fremd erscheint, hat mit meinen vorherigen erfahrungen zu tun. und ob ich bestimmte erfahrungen gemacht habe, hat wiederum mit erziehung zu tun, mit dem umfeld, in dem ich lebe und mit dem, was ich lernen durfte. darum verfestigen sich vor allen dingen in autoritären gesellschaften gern vorurteile, da man ja nichts anderes kennt. und seien wir mal ehrlich, es gibt keinen menschen, der ohne vorurteile durch das leben wandert. wichtiger ist es, gelernt zu haben, diese schnell getroffenen urteile auch wieder revidieren zu können und zu dürfen. das heisst, auch den zweiten eindruck als wichtig zu erachten.

im biografischen schreiben kann man sich seinen vorurteilen, die man im laufe seines lebens hatte annähern. natürlich auch nur so weit, wie man sich selbst kritisch betrachten kann. das ist nicht ganz einfach, da es eben auch wieder von den gemachten erfahrungen abhängig ist. aber man kann beinahe „neutrale“ instanzen hinzuziehen. fragen sie doch einfach mal gute freunde, bei denen sie davon ausgehen können, dass die kein blatt vor den mund nehmen, was sie meinen, welchen vorurteilen sie raum geben. lassen sie die aussagen sacken, verstricken sie sich nicht in diskussionen darum.

man kann später für sich selber überlegen, ob man die einschätzung der anderen für sich annehmen möchte oder nicht. vielleicht geben die rückmeldungen einen hinweis auf weiße flecken in der eigenen wahrnehmung. aber, und dies finde ich ebenso wichtig, man muss aufpassen, sich nicht beständig selber zu verdächtigen. Weiterlesen

web 2.57 – litblogs.net

lesen, einfach lesen im netz. das internet ist ein medium, das die veröffentlichung von literatur allen schreibenden leicht macht. erstaunlicherweise wird es aber von wenigen schreibenden genutzt. wie hier schon einmal erwähnt, liegt dies sicherlich auch an der finanziellen verwertbarkeit des geschaffenen. und doch bietet das internet eine unbegrenzte plattform, entweder reflexionen über den eigenen schreibprozess öffentlich zu machen oder neu geschaffene werke bekannt zu machen.

eine website, die einen teil der aktuellen literarischen veröffentlichungen im netz bündelt ist „litblogs.net„. die seite ermöglicht es, literatInnen beim schaffenprozess über die schulter zu schauen, wenn man möchte. die auswahl ist reichlich, der lesestoff beinahe erschlagend. denn es wird geschrieben, es wird täglich geschrieben. ein wenig mehr übersichtlichkeit würde man sich auf der seite wünschen, doch wahrscheinlich lässt sich dies bei der menge an geschriebenem einfach nicht umsetzen.

jedenfalls ist die seite http://www.litblogs.net eine fundgrube für alle literaturinteressierten. man kann auf der seite stöbern wie in einem reichhaltigen buchladen und sich in die werke vertiefen, die einen am meisten interessieren. einziges manko: man muss es mögen, am bildschirm zu lesen. denn sich ständig die gefundenen literarischen leckerbissen auszudrucken, ist doch ein sehr aufwendiges unterfangen. da bietet es sich eher an, die bücher der hier veröffentlichenden autorInnen zu kaufen. mein tipp: lesen, einfach lesen!

ach ja, und die links zu den ganzen blogs mal durchklicken.

schreibidee (245)

höchste beachtung verdient die menschwürde. dadurch, dass wir menschen über uns und unsere situation reflektieren können, entwickeln wir auch eine ethische haltung dazu, ab welchem moment einem menschen die würde genommen wird. das bedeutet, ab wann ein mensch nicht mehr als mensch behandelt wird, sondern eher als sache, als wertloses ding oder als ein lebewesen ohne emotionen und reflexion. dies kommt leider weiterhin öfter vor als man denkt. und die folgende schreibanregung greift den gedanken auf, um „würdelose texte“ zu schreiben.

was gehört für die teilnehmerInnen zur „meschenwürde“? diese frage soll mit einem einseitigen text (also mit einem text von einer seite länge 😉 ) beantwortet werden. die texte der menschenwürde werden anschließend vorgetragen. danach wird es eine emotional sehr bewegende gruppensitzung der schreibgruppe werden. denn würdelosigkeit berührt mit großer garantie. zu weiteren einstieg werden entweder texte von folteropfern oder dokumentationen über folteropfer gezeigt. folter ist eine der drastischsten formen, dem menschen seine würde zu nehmen.

anschließend ist eine geschichte zu verfassen, in der jemand davon berichtet, wie ihm die würde genommen wurde. es muss sich dabei nicht um folter handeln. es bleibt der fantasie überlassen, welche würdelose oder entwürdigende situation geschildert wird. einzige vorgabe für den text ist es, möglichst intensiv und bewegend die geschichte zu formulieren. danach werden die entstandenen geschichten vorgetragen und in der feedbackrunde wird auch darauf geachtet, wie bewegend die schilderung auf die schreibgruppenteilnehmerInnen wirkte.

zum abschluss geht es darum, der würdelosigkeit etwas entgegen zu setzen. was ist notwendig, um keine würdelosen situationen mehr zu erleben. alle teilnehmerInnen sind aufgefordert, ein „manifest wider die würdelosigkeit“ zu verfassen. dieser aufruf sollte anschließend im entsprechenden tonfall eines aufrufs vorgetragen werden. falls interesse besteht und die schreibenden nicht zu sehr mitgenommen sind, kann der film „buenos aires 1977“ noch angeschaut werden. in diesem film wird geschildert, wie menschen in argentinien sukzessive durch folter und psychoterror die menschenwürde genommen wurde und wie sie versuchten sich von dieser situation zu befreien.

biografisches schreiben und entschuldigungen

anlass dieses posts sind die suchbegriffe, die zum schreibschrift-blog führen. immer wieder wird danach gefragt, wie entschuldigungstexte zu schreiben sind. man könnte sagen, man möge einfach „entschuldigung“ oder „tut mir leid“ oder „sorry“ schreiben. doch es hängt mehr an einer entschuldigung. es ist selbstreflexion und selbsterkenntnis notwendig, um sich entschuldigen zu können. und in diesem moment berühren sich biografisches schreiben und entschuldigungstexte.

denn ich betrachte vor der entschuldigung die vergangenheit. ich lasse ereignisse und mein erinnertes verhalten revue passieren. das betrachten der eigenen biografie und der eigenen lebensgeschichte erstreckt sich nicht ausschließlich auf lang zurückliegende ereignisse. es kann sich auch auf vor kurzem geschehene dinge beziehen. das biografische schreiben bietet auch für diese momente genug techniken, um zu einer selbstreflektiven haltung zu kommen. und ganz abgesehen davon, entschuldigen sich manche menschen für ereignisse, die schon jahre oder jahrzehnte zurückliegen.

der erste schritt besteht sicherlich darin, für sich festzustellen, wann es einen konflikt, eine diskrepanz oder einen kontrast zwischen, gesagtem, gedachtem und reaktionen gab. dies kann einem beim nachdenken auffallen, beim tagebuchschreiben oder bei unterhaltungen, wenn man erlebtes berichtet.

im zweiten schritt stellt man fest, dass etwas unangemessen war. kam es zum beispiel zu körperlicher gewalt, dann fällt diese erkenntnis vielen menschen sehr leicht (manchen leider überhaupt nicht). doch oft finden die verletzungen in der alltäglichen kommunikation statt. sie werden unterschwellig und unbeabsichtigt verursacht. erst die reflexion macht einem klar, was geschehen ist oder erst die reaktion des gegenübers zeigt einem, was man getan hat.

im dritten schritt muss man an den punkt gelangen, dass es einem wichtig erscheint, den eindruck des gegenübers zu relativieren, zu korrigieren. hier wäre es nun angebracht, einfach „entschuldigung zu sagen, oder zu schreiben. auch dafür halten das biografische und das kreative schreiben einige möglichkeiten parat. aber so einfach funktioniert es oft nicht, denn neben der verletzung des anderen, geschehen zwischen menschen in der kommunikation noch ganz andere dinge. Weiterlesen

web 2.49 – edge.org

der mensch verfügt über einen vorsprung gegenüber tieren und technischen geräten. er kann über seine situation reflektieren, nachdem er sie wahrgenommen hat und erfahrenes kommuniziert. aus den reflexionen resultieren beim menschen oft handlungen. doch er misstraut seiner eigenen wahrnehmung oder nimmt sehr unterschiedlich wahr. darum muss sich der mensch immer wieder über seine möglichen handlungen austauschen.

im internet gibt es eine plattform, die den rahmen für einen umfassenden austausch über fragen, die die menschheit bewegen, bietet. „edge.org“ stellt einmal im jahr eine frage zur zukunft und menschheit, sozusagen eine frage des jahres, und fordert dazu auf, antworten in essays zu geben. ein teil der eingehenden antworten wird dann veröffentlicht und zur diskussion gestellt. die frage dieses jahres lautet: What Scientific Concept Would Improve Everybody’s Cognitive Toolkit? . letztes jahr ging es zum beispiel darum, inwieweit das internet unser leben beeinflusst und unser denken verändert.

nun sind wissenschaftlerInnen, künstlerInnen, philosophInnen, psychologInnen und zum beispiel schriftstellerInnen aufgefordert, eine antwort auf die frage zu finden. auf der homepage kann man viele antworten, aber auch viele journalistische auseinandersetzungen mit der frage des jahres zu finden. leider ist die website ein wenig unübersichtlich und man muss sich erst einmal durchwühlen, wo denn nun welcher beitrag ist. wann handelt es sich nur um eine journalistische aufarbeitung und wann handelt es sich um einen essay.

doch während man sucht, kann man sich ja schon einmal gedanken zur großen frage machen. vielleicht verfasst man einmal einen eigenen essay. zu finden ist die seite unter: http://www.edge.org/ . viel spaß beim lesen und erfahren, wie es uns so geht (übrigens wird ausschließlich in englisch kommuniziert).

biografisches schreiben und loslassen

beim biografischen schreiben bekommt „das loslassen“ eine ganz andere bedeutung. natürlich geht es auch beim schreibprozess zur eigenen lebensgeschichte darum, die texte und geschichten loszulassen. doch hier steht diese entscheidung nicht im vordergrund, da oft nur für sich selber geschrieben wird, ganz klar ist, dass die intimsten details des eigenen lebens nicht für andere bestimmt sind.

bei aufschreiben der eigenen biografie stellt sich eher die frage, wann musste man was oder wen in seinem leben loslassen? eine frage, die meist nicht leicht fällt, ebenso wie das damalige loslassen schwer fiel. allein der begriff „loslassen“ beinhaltet ja schon, dass man etwas festhält. ursache scheint das festhalten an vorstellungen zu sein, die man während der eigenen entwicklung irgendwann über den haufen wirft. dabei kann es die vorstellung eines lebensziels sein oder die vorstellung von einer beziehung zu einem bestimmten menschen. es kann aber auch die idee sein, dass gerade alles ganz in ordnung ist und sich nichts ändern sollte.

aber das leben an sich ist tückisch und basiert auf dem prinzip des kommen und gehens. da der mensch fähig ist, darüber zu reflektieren, kann die erkenntnis darüber (zum beispiel beim tod eines geliebten menschen) eine erschreckende sein. Weiterlesen

was bringen mir kreativität und schreiben?

gern wird der nutzen von aktivitäten und entwicklungen betrachtet. wieso sollte ich etwas lernen und anwenden, wenn es keinen effekt für mich hat? also effekte, oder wie nadine hostettler es in ihrem kommentar formulierte, „erfolge“ hat man mit kreativität und schreiben immer, die frage bleibt, wie erweitert die kombination beider fähigkeiten meine handlungsmöglichkeiten? ich möchte hier ein paar konsequenzen benennen. doch im vorfeld noch bemerken: das kreative schreiben ist sicherlich keine wundertechnik, die uns alle zu bekannten und berühmten schriftstellerInnen macht, sondern eine ansammlung von techniken und vorgehensweisen, die uns manche tätigkeiten erleichtern können.

aber kommen wir zu den möglichkeiten, die sich aus der kombination von kreativität und schreiben ergeben können:

  • ohne großen zeitaufwand gelange ich zum regelmäßigen schreiben. etliche techniken bieten „erfolge“, also ergebnisse nach fünf bis zehn minuten. wenn ich diese zeit täglich dafür nutzen kann, schaffe ich schon erstaunliche ergebnisse.
  • durch diese unkomplizierten möglichkeiten kann ich meine eigene ehrfurcht und angst vor dem schreiben abbauen. noch zu oft denken viele, es benötige erst einmal eine grandiose idee, viel zeit und geniale schreibe, um sich effektiv auszudrücken.
  • mein schreiben entwickelt sich eher in spielerischer form, denn durch große anstrengungen.
  • ich erweitere meinen spielraum für sprache. mir fallen formulierungen und zusammenhänge ein, die sich mir vorher schwerer erschlossen hätten.
  • ich finde eine zusätzliche möglichkeit in meinem leben, mich auszudrücken.
  • ich finde eine zusätzliche möglichkeit in meinem leben, eindrücke zu verarbeiten.
  • mein blick in die „welt“ wird umfassender. ich nehme mehr wahr, laufe aufmerksamer durch den alltag.
  • dadurch erschließen sich mir mit großer wahrscheinlichkeit auch mehr handlungsmöglichkeiten im laufe der zeit. je mehr eindrücke ich verarbeite, desto mehr alternativen werden vorstellbar und anwendbar.
  • mein erweitertes und „neues“ schreiben kann sich in allen lebensbereichen ausbreiten. sowohl berufliches schreiben, soziale kontakte als auch wissenschaftliche ergebnisse und selbstreflexionen lassen sich entwickeln.
  • ganz persönlich überwinde ich vielleicht die mir in der schule nahegelegte ernsthaftigkeit beim schreiben. humor darf in meinen schriftlichen ausdruck einzug halten.
  • da beim schreiben immer auch anteile von mir einfließen, ich mich ausdrücke, kann mir das schreiben, die kreativität bei der selbstreflexion eine große hilfe sein. nun muss ich mich nicht die ganze zeit selbst reflektieren, aber umbruchphasen kann dies eine große hilfe sein.
  • nicht nur beim schreiben kann ich die ernsthaftigkeit des lebens ein wenig zurückdrängen, auch bei der bewertung meiner leistungen und „erfolge“ besteht die möglichkeit meine erwartungshaltung an mich selber ein wenig zu reduzieren.
  • selbstbewusstsein schöpft aus eigenbewertungen, der verarbeitung von fremdbewertungen und sichtbaren veränderungen in meiner lebensqualität. kreatives schreiben ermöglicht mir den blickwinkel auf mich selbst zu verändern. es garantiert zwar keinen positiven blick aber die chance, näher an eigenen bedürfnissen zu sein, erhöht sich. Weiterlesen

500 fragen zur selbstbefragung aus diesem blog

im laufe der letzten monate formulierte ich hier fragen zur selbstbefragung unter verschiedenen stichworten. auf die idee kam ich durch die fragebögen von max frisch. die selbstbefragung ist meiner ansicht nach ein guter einstieg oder eine gute vertiefung des biografischen schreibens. möchte man sich nicht ausschließlich an einer zeitlinie entlanghangeln, um die eigene lebensgeschichte aufzuarbeiten, kann man einzelne anspekte durch fragestellungen und reflexionen vertiefen. man kann selbstbefragung aber auch abseits des biografischen schreibens verwenden, um sich in regelmäßigen abständen zu hinterfragen, resümee zu ziehen und vielleicht veränderungen im eigenen leben einzuleiten.

wie bei allen techniken und möglichkeiten, sich mit sich selbst zu beschäftigen, kann dies sowohl wunderschöne erkenntnisse zu tage fördern, einen aber auch in eine krise manövrieren. hier sei nur kurz angemerkt: sollte man feststellen, dass die selbstbefragung viel mehr als nur einzelne aspekte in frage stellt, dann hat man zwei möglichkeiten. zum einen kann man stoppen weiter in die tiefe zu gehen und sich dadurch selbst schützen, zum anderen kann man sich professionelle hilfe und unterstützung bei psychologInnen oder therapeutInnen suchen, um an der frage weiterzuarbeiten. man muss nicht durch alle schwierigkeiten allein gehen.

hier im blog wurden jeweils 10 fragen zu folgenden aspekten gestellt:
Weiterlesen

die woche der selbsterkenntnis

wie schon des öfteren bei der schreibpädagogik bemerkt, ist das selbsterkenntnis-potential des schreibens nicht zu unterschätzen. vor allen dingen im biografischen schreiben geht es um die aufarbeitung von vergangenem und die erinnerungen an geschehenes. aber auch ein kleiner, kurzer text kann einem manches über einen selber sagen. doch weshalb sollte ich mich eigentlich ständig selber betrachten? ist das nicht so eine mode, die mich dazu zwingt, ständig ein besserer mensch zu werden?

dies soll in der „woche der selbsterkenntnis“ genauer betrachtet werden. unterfüttert wird das ganze von weiteren „selbstbefragungen“ wie sie schon in diesem blog zu finden sind, die auch zum ergebnis haben können, ein wirklich fürchterlicher mensch zu sein, sich aber dabei sauwohl zu fühlen. hier wird nicht gewertet, hier wird nur angeregt. denn einen vorteil hat die selbsterkenntnis: erst durch sie kann ich selbst-bewusstsein entwickeln. und das ist meist hilfreich in einer welt, die bestrebt ist menschen zu immer mehr bemühungen anzustiften. erst als selbst-bewusster mensch fällt es mir leicht, „nein“ zu dingen zu sagen, die nicht meinen vorstellungen entsprechen.

denn wie stellt es schon ein kurz-kurz-dialog dar?
„wir wollen doch nur dein bestes!“
„das kriegt ihr aber nicht.“

dazu sollte man sein bestes kennen. die frage bleibt, wie man es findet? wahrscheinlich mit und ohne andere. nun denn, ich lade ein zu einem einwöchigen ego-trip. 🙄

schreibpädagogik und selbstreflexion (2)

im letzten post zur schreibpädagogik habe ich schon ein wenig aufgezeigt, dass kreatives oder biografisches schreiben, ach, schreiben an sich, immer einen anteil selbsterkenntnis beinhaltet. doch nicht nur die eingeflossenen gedanken über sich selber machen das schreiben attraktiv und die schreibpädagogik wertvoll, sonder auch die reflexionen über den schreibprozess können im laufe der zeit eine große hilfe sein.

darum lohnt es sich immer wieder, einmal einen blick zurück zu werfen, wie eigentlich der eigene text entstanden ist, wie man schreibt. hier kann man sich in regelmäßigen zeitabständen hinsetzen und einen kleinen katalog abarbeiten, der einem das eigene schreiben ein wenig aufschlüsselt:

einsteigen würde ich mit 10 minuten fokussiertem freewriting zum eigenen schreibprozess. was fällt einem spontan zur eigenen schreibe ein? quält man sich oder fließt die worte nur so auf´s papier? das geschriebene freewriting dann erst einmal beiseite legen.

im nächsten schritt wären ein paar fragen zu beantworten:

  • wann schreibe ich am liebsten?
  • welche werkzeuge verwende ich zum schreiben?
  • was hindert mich am schreiben?
  • worauf habe ich schreiblust?
  • woher kommen meine schreibideen?
  • was mache ich, um schreibblockaden zu überwinden oder zu verhindern?
  • wann schreibe ich für mich, wann für andere?
  • wie geht es zur zeit meinem inneren zensor?
  • welchen neuen text seit der letzten selbstreflexion finde ich am besten und warum?

sind die fragen beantwortet, nehme man sich seinen besten und seinen schlechtesten text der letzten zeit vor. zu beiden texten schreibt man eine halbseitige beurteilung.

jetzt wäre es gut, wenn man jemanden kennt, der sowohl die texte, als auch die beurteilungen liest. diese person sollte einem ein feedback (möglichst ungeschminkt), sowohl zu den texten als auch den beurteilungen geben. bei diesem feedback wären die stärken und schwächen der texte herauszuarbeiten.

anschließend setzt man sich noch einmal hin (diese mal kein freewriting) und notiert auf einer seite, wie sich der eigene schreibprozess in letzter zeit (also seit der letzten selbstreflexion) verändert hat. dabei können auch äußere umstände wie zeitknappheit, lärm von außen, tolles neues schreibprogramm, neues schreibprojekt und vieles mehr einbezogen werden.

dieser text wird noch einmal mit dem freewriting verglichen, und man kann sich stichwortartig notieren, was man sich in nächster zeit für den eigenen schreibprozess vornehmen möchte.

und ganz zum schluss nimmt man ein weißes blatt, das einzig dazu da ist, ideen für das schreiben in nächster zeit zu notieren. dies können ideen für geschichten, projekte, stichworte, charaktere oder auch arbeitsaufträge sein.

all diese überlegungen und ausarbeitungen legt man nun unter dem datum ab, an dem sie entstanden sind. wenn man in regelmäßigen abständen solch eine selbstreflexion durchführt, sammelt sich ein zeitlicher überblick über den eigenen schreibprozess an. dies kann sowohl für einen selber auch später noch sehr aufschlussreich sein, aber vielleicht auch für andere, die sich in ähnlichen situationen befinden. hat man zum beispiel das gefühl, man befindet sich gerade mitten in einer schreibblockade, kann man vielleicht nachschauen, wie man die letzte überwunden hat. oder man liest noch einmal worauf man schreiblust hatte, die idee aber wieder aus den augen verlor. eventuell ist sie später aktuell.

es macht keinen sinn, solche selbstreflexionen wöchentlich durchzuführen. da bekommt man schnell das gefühl, es ändert sich überhaupt nichts. aber vielschreibern kann es alle viertel jahre schon aufschlussreich erscheinen über das eigene schreiben nachzudenken. natürlich genügt auch eine jährliche betrachtung oder alle zehn jahre oder nie. selbstreflexionen sollten immer freiwillig sein und nicht nur stattfinden, wenn es hakt. sie bilden nur eine entwicklung, einen prozess ab, aber sie eröffnen dadurch auch platz und ideen für neues.

schreibpädagogik und schreibmotivation

warum schreibt der mensch überhaupt? was bewegt einen dazu, zum stift oder zur tastatur zu greifen und etwas niederzuschreiben? kulturgeschichtlich hat dies sicherlich mit der zunahme der komplexizität zu tun, soll heißen, es wurde notwendig, daten für längere zeit zu speichern, also festzuhalten. irgendwann wurde es zu schwierig, diese daten mündlich zu überliefern, zu erzählen. so wurden zählsysteme, aber auch formen der notiz entworfen. es war eine lange entwicklung von bildern, zeichen, kerben und steinen zu buchstaben, texten und büchern.

doch warum schreibt heute noch ein mensch abseits des beruflichen aufnehmens von daten? warum kommunizieren wir nicht ausschließlich mündlich miteinander? das schreiben ist doch meist zeitaufwendiger und benötigt mehr werkzeuge. wahrscheinlich hat es mit der möglichkeit etwas dauerhaft festzuhalten zu tun. der gedanke, der nachwelt etwas von den eigenen ideen und überlegungen zu hinterlassen ist ein sehr menschlicher. unsere gesellschaftsform und vor allen dingen unser lernen basiert auf traditionen und gesellschaftlicher vermitteltheit. wir müssen in unserer persönlichen entwicklung nicht mehr alle entwicklungsschritte der menschheit nachvollziehen. ich muss als kind nicht mehr lernen, dass ich erst das feuer, dann das rad, dann die viehzucht entwickeln muss, um zu einem sozialen miteinander zu kommen. ich kann wissen über andere wege erhalten.

der hauptweg, wissen abzulegen, besteht im schreiben. das schreiben ist platzsparend und verbraucht vergleichsweise wenig kapazitäten. müssten sich heutzutage menschen das wissen der welt merken, um es weiter zu erzählen, würde die momentane überbevölkerung auf keinen fall genügen, bräuchte es viel mehr menschliche „speicherkapazität“.
doch das schreiben, und das interessiert hier natürlich am meisten, ist auch eine gute form, das wissen um sich selbst zu erweitern und zu entwickeln. je mehr der mensch gefordert ist, sich im alleingang zu verstehen, soziale kompetenzen zu entwickeln (ein luxus der dienstleistungsgesellschaft), desto stärker ist er gefordert, sich selbst zu reflektieren.

Weiterlesen

schreibidee (138)

sollte es jemals noch einmal richtig sommer werden, dann kann man baden gehen. baden lässt sich verschieden bewerkstelligen. man setzt sich ins flache wasser und plantscht ein wenig darin herum. oder man begibt sich in tiefere gewässer und schwimmt dort rum. um dies machen zu können, benötigt man die fähigkeit, schwimmen zu können. dazu kann man kurse besuchen und dann den „freischwimmer“ machen. auch im alltag finden sich genug soziale konstruktionen, die einen immer wieder im flachen wasser halten wollen. die drohung, dass es gefährlich sei, sich ins tiefe wasser zu begeben, hält manchen zurück, sich freizuschwimmen. deshalb eine schreibanregung zu „freischwimmer-texten„.

als einstieg dienen dieses mal zwei anregungen zum freewriting. die teilnehmerInnen der schreibgruppe werden eingeladen, ein fünfminütiges freewrtiting zur frage: „wo habe ich mich in meinem leben freigeschwommen?“ zu schreiben. anschließend noch einmal ein fünfminütiges freewriting zur frage: „wo möchte ich mich in meinem leben noch freischwimmen?“. diese texte werden nicht vorgelesen, sondern dienen nur der selbstverständigung.

in der folge sind zwei einseitige betrachtungen zu verfassen. die teilnehmerInnen wählen einen aspekt einengender lebensverhältnisse, diese können biografische züge haben, müssen aber nicht. die erste seite beschreibt eine einengende situation, in der sich jemand befindet. die zweite seite soll dann darstellen, wie die situation sich verändert hat, nachdem die person sich freigeschwommen hat. diese beiden seiten werden in der schreibgruppe vorgelesen, um zusätzliche anregung für alle teilnehmerInnen zu geben.

zum abschluss wird nun ein längerer „freischwimmer-text“ verfasst. wie dieser ausgestaltet wird bleibt den teilnehmerInnen überlassen. die texte werden anschließend vorgelesen und in der feedbackrunde soll thematisiert wie intesiv der aspekt des freischwimmens für die anderen wahrnehmbar wird.