es scheint wie der tanz auf dem vulkan, dass in zeiten der großen umbrüche und katastrophen viele menschen in der westlichen welt sagen, sie seien zufrieden und glücklich mit ihren lebensumständen, anstatt sich elend zu fühlen und an den gegebenheiten zu verzweifeln. eric g. wilson nimmt die ergebnisse von befragungen als einstieg in sein buch „unglücklich glücklich – von europäischer melancholie und american happiness„. in den ersten kapiteln zerpflückt er mit großer freude die glückseligkeitskultur und ehrlich geschrieben, das lesen bereitet freude. er macht vieles an der us-amerikanischen gesellschaft fest, doch die beispiele lassen sich augenfällig auch in unserer entdecken. dabei zeigt er auf, dass sich inzwischen der hang zum glück in einen zwang zum glück entwickelt gegen den man sich wehren müsse. denn es geht seiner ansicht nach um die ausrottung der depressiven verstimmung (und er unterscheidet diese klar von einer schweren depression).
im folgenden entfaltet wilson interessante überlegungen zur melancholie als ort der kreativität. dies mündet zum beispiel in der aussage: „kreativität macht uns nicht unglücklich – unglück macht uns kreativ“. darüber lässt sich sicherlich streiten, doch der grundgedanke ist meiner ansicht nach ein sehr anregender. erst wenn mensch sich konfrontiert sieht mit den widrigkeiten aber auch selbstverständlichkeiten des lebens und dadurch auch des todes, ist er bereit sich in die tiefen des daseins und seiner seele zu begeben. und erstaunlicherweise entstehen gerade aus diesen phasen die lebendigsten und ekstatischsten zeugnisse der kultur. dies macht er an vielen beispielen von dichtern, denkern und musikern fest.
deshalb widerspricht wilson gleichzeitig der zukleisterung von verstimmungen mit glücksverheissungen und schenkelklopfhumor. er singt stattdessen wortgewaltig das hohelied auf die melancholie und ihre produktiven folgen. ein spannendes buch in einer so lustigen eventkulturzeit. das buch ist 2009 erschienen bei klett-cotta in stuttgart. ISBN 978-3-608-94113-5
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