wortklauberei (55)

„verschwulung des bezirks“

wäre diese beschreibung aus dem munde eines rechten, eines sehr rechten politikers gekommen, wäre die empörung in liberalen und linken kreisen der stadt berlin groß gewesen. es wäre von homophobie, von diskriminierung und beleidigung von minderheiten gesprochen worden. ja, man wäre sich einig gewesen, dass es gute gründe dafür gibt, dass bestimmte kieze der stadt ein rückzugsgebiet für minderheiten darstellen.

doch der ausdruck stammt aus der queeren, transgender und „linken“ welt selber. es wird der kampf gefochten gegen gentrifizierung und diskriminisierung innerhalb von szenen. selbst wenn man diese anliegen und kritiken teilt, wenn man sich selbst eher der linken theorie anhängig fühlt, selbst dann bleibt ein starkes kopfschütteln ob der wortwahl. was soll das? provozieren? es provoziert insoweit, dass es einer sexuellen orientierung unterstellt, dass sie ganze bezirke verändern könnte. oder anders formuliert: das könnte doch das paradies auf erden sein, ein ganzer bezirk schwul. kein erklären mehr, kein verteidigen, keine pöbeleien, keine übergriffe. gut, es wäre gleichzeitig ein gettho, aber es wäre ein ausdruck der ansonsten erlebten anstrengungen, für jeden homosexuellen eine kuschelige parallelwelt. doch davon ist man weit entfernt.

und sprachlich intendiert diese beschreibung noch ganz anderes. es klingt, wie wenn ein bezirk infiziert worden wäre mit einem lästigen übel. so,wie manche menschen über die islamisierung der gesellschaft, die verrohung der sitten oder die vermenschlichung der tiere diskutieren. hier wird unterstellt, es gäbe eine kraft von außen, es gäbe akteure, die einen bezirk schwul machen wollten. und hier wird der begriff schwul wieder in seiner negativen konnotation verwendet. wie wenn man nicht lang genug um die bedeutung der beschimpfung in ihr gegenteil zu verkehren gekämpft hätte. hier wird definitiv wieder eine minderheit vorgeführt, die immer gern vorgeführt wird.

das entlarvende daran ist, dass dieser ausdruck von einrichtungen geprägt wurde, die antidiskriminierend arbeiten. und die wortmacht wird in einem diskurs verwendet, der sowieso fern der realen handlungsgründe von einzelnen subjekten stattfindet, auf einer unrealistischen metaebene. das skurrile daran ist, dass dieser diskurs eigentlich genau das abbildet, was der konkurrenzhafte kapitalismus schon immer produzierte, konkurrenz zwischen den „besseren“ und „schlechteren“ minderheiten und diskriminierten. hier versteigen sich menschen in unmenschliche kritik. man denke bei der wortwahl einfach darüber nach.

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