Archiv der Kategorie: wortklauberei

wortklauberei (113)

„sommerflussverkauf“

werbung und wortspiele treffen oft und gern aufeinander. mal erheiternd, mal nervtötend oder auch nur unverständlich. was würden sie mit der überschrift „sommerflussverkauf“ in verbindung bringen? ich erst einmal einen sprachfehler oder dialekt, jedenfalls eine person, die das „sch“ in „f“ verwandelt. da muss ich an den film über die „sch´tis“ denken. ansonsten kann ich mir noch den ausverkauf der wasserstrassen vorstellen, doch bisher gab es zwar inseln und seen im angebot der maklerei, aber von flüssen hatte ich noch nicht gehört.

die auflösung: es handelt sich um werbung für flusskreuzfahrten. oha, da hat jemand mit dem wortspiel gleichzeitig die bedeutung um die ecke gebracht. nichts deutet auf schiffe, auf fahrten oder nur auf touristisches hin. der funktioniert darum nicht, da der sommerschlussverkauf einfach zu dominant ist. das ist ein bekanntes event, das wir alle kennen und oft ausgesprochen haben. die veränderung eines buchstaben ist zu schwach. es ist so, wie wenn ein bordell mit sommerkussverkauf, oder ein waffenhändler mit sommerschussverkauf werben würde (obwohl letzteres eher die passende assoziation erzeugen könnte).

nimmt man das wort ernst, dann kann man es allerdings direkt als schreibanregung verwenden: „man schreibe eine geschichte über den ersten sommerflussverkauf“. die pressemeldungen dazu: „schnäppchenjäger an der schlei“, „mosel und main mit ins einkaufskörbchen rhein“ oder „neues hippes muss – kauf den fluss“. man kann die versteigerung der flüsse beschreiben. oder überlegungen anstellen, was jemand mit einem gekauften fluss anstellt – vielleicht als erstes umleiten, damit er am eigenen haus vorbeifließt 😉 schluss mit dem blödsinn und mit dem ssv – heutzutage nennt man das river-sale!

wortklauberei (112)

„ambrosia-scout“

manche wortkombinationen führen schnell in die irre, da sie für außenstehende nicht mehr erkennen lassen, worum es sich dabei überhaupt handelt. aber die idee war gut 😉

„ambrosia“ ist eigentlich die götterspeise (womit nicht der wackelpudding gemeint ist), also die nahrung der götter. doch die botaniker gaben einer unscheinbaren pflanze den namen der götter, wobei man, wenn man das gewächs sieht, keinen zusammenhang herstellen kann. unscheinbarer geht es nicht. doch so unscheinbar dieses gewächs ist, so allergen ist es auch. das soll heißen, die pollen der pflanze lösen bei vielen menschen starke allergien aus. und so unscheinbar die pflanze ist, so gern verbreitet sie sich zum beispiel in berlin. sie ist eingeschleppt, zäh und fortplanzungsfreudig (vielleicht kommt daher die „götterspeise“).

der pflanze kann man nur dadurch herr werden, dass man sie ausreisst und vernichtet. und da berlin nicht nur viele ambrosia-pflanzen, sondern auch viele ein-euro-jobber hat, kam wohl ein findiger mensch in der senatsverwaltung auf die idee: wir brauchen pfadfinder, die die götterspeise in der stadt aufspüren. so war das projekt „hochallergene-pflanzen-sucher“ geboren. jetzt klingt „hochallergene-pflanzen-stadt-absucher“ erstens nach einem undankbaren job und zweitens viel zu lang und unmodern. also muss ein passender begriff entwickelt werden.

da wirkt „ambrosia-scout“ gleich viel mehr nach „götterspeisen-pfadfinder“ als nach einem profanen schutzprogramm wie die streckenläufer bei eisenbahngleisen. also werden demnächst menschen in berlin ausschwärmen, um der pflanzenwelt herr zu werden. ähnlich wie die miniermotten-blattsammler und die eichenspinner-ausräucherer werden die ambrosia-vernichter versuchen, die natur wieder gerade zu rücken. mal sehen, ob das einen effekt haben wird, oder ob nicht bald das nächste natur-ungetüm der stadt berlin neue jobs veschafft.

leben neben der berliner feuerwehr (13)

man wird als „idiot!“ von der berliner feuerwehr aus der fahrzeughalle heraus beschimpft, wenn man auf seinen balkon tritt, um zu schauen, was im hinterhof einen so röhrenden lärm am spätnachmittag eines freitags in der ferienzeit macht. man sieht zwei feuerwehrbeamte, die sich mit einem auf seinem motorrad sitzenden kollegen unterhalten, während dieses röhrende fahrzeug auf seine fahrtüchtigkeit getestet wird.

die zwei beamte bemerken, dass sie jemand vom balkon aus beobachtet, ziehen richtung arbeitsstätte und rufen ihrem kollegen auf dem motorrad noch lachend zu: „guck mal wer da auf dem balkon steht. hahaha.“ man muss nur in das verhöhnende lachen einstimmen, „hohoho“, schon wird das motorrad abgestellt und aus der deckung der fahrzeughalle heraus „idiot!“ gerufen.

als egozentrischer nachbar bezieht man diesen ausruf natürlich auf sich selbst, dabei war dies wahrscheinlich ein kosewort unter kollegen. und man darf so etwas natürlich nicht zurückrufen, da es dann beamtenbeleidigung wäre. man will es auch gar nicht zurückrufen. man möchte nur rufen: „machen sie das, was sie hier veranstalten, doch einfach vor ihrer eigenen wohnung.“

was dieses kleine, kurze ereignis aber auf alle fälle wieder beweist: sie wissen, was sie tun. da passiert die lärm- und abgasbelästigung nicht zufällig oder „mal“, sondern sie passiert bewusst, absichtlich und rücksichtslos und mit der rückendeckung höherer stellen. ja, das ganze wird als scherz gesehen, vom land berlin, vom bezirk, von den beamten der stadt. was für eine haltung gegenüber anderen menschen dahinter steckt, kann sich jeder selbst deuten.

ach, ich vergaß zu berichten, dass parallel zum testen des motorrads noch zwei private pkw im hinterhof gewaschen wurden, dass es nach drei tagen dauerregen endlich aufgehört hatte, dass ein wenig sonne rauskam, dass man die nacht durchgearbeitet hatte, dass …

wortklauberei (111)

„spontankunde“

was ist ein „spontankunde“? die antwort ist recht einfach: jemand der zum beispiel beschließt, „jetzt gehe ich noch schnell in den supermarkt, bevor er schließt“. das ist ein spontankunde. oder wenn sie bei der bahn am schalter ihre fahrkarte ohne vorbestellung im internet kaufen, dann sind sie auch ein spontankunde. der handel und viele dienstleistungen leben von den spontankunden und der spontankunde ist die normalität des kundendaseins. warum also ein spezielles wort für kunden verwenden?

weil die behörden der weltmetropole und hauptstadt berlin ihre probleme mit spontankunden haben. denn der spontankunde kommt zu den sprechzeiten spontan vorbei (also eigentich ist der spontankunde nicht wirklich spontan, da er sich schon an sprechzeiten orientiert) und überfordert den betrieb.

darum haben die bürgerämter der bezirks mitte dem spontankunden nur noch den montag reserviert (08.00 – 15.00 uhr – wartenummernvergabe maximal bis 13.00 uhr). hier kann man schon die wandlung vom spontankunden zum plankunden erleben. wie nun dem fernsehen zu entnehmen war, verkleinert sich das zeitfenster für spontane amtsbesuch zusätzlich enorm, dadurch dass der spontankunde eigentlich vor 08.00 uhr vor ort sein muss, um noch eine der beliebten wartenummern kurz nach 08.00 uhr zu erhalten, da eine stunde später keine wartenummern mehr ausgegeben werden.

der spontankunde wird also in berlin-mitte zum plan- oder terminkunden. die restlichen termine der woche werden nicht mehr spontan vergeben, sondern müssen per internet oder telefonisch vereinbart werden. das klingt erst einmal hübsch und soll die wartezeiten verkürzen, ist aber nur ein ausdruck des personalmangels. wenn schon vorher spontan die nachfragen nicht zu bewältigen waren, dann sind sie per terminvergabe erst recht nicht zu bewältigen. es wird also einen terminstau geben, der sich stetig summiert und dazu führen wird, dass in absehbarer zeit der nächste freie termin in ein paar monaten ist.

das wäre alles nicht so problematisch, wenn nicht gerade beim bürgeramt dinge erledigt werden müssten, die termingebunden sind (meldebehörde, verlängerung von ausweisen und dokumenten, ummelden und dergleichen mehr). doch das ist in berlin kein einzelfall. inzwischen bekommt man eigentlich von beinahe jeder behörde, wenn man mit einem antrag oder einem anliegen an sie herangetreten ist, die benachrichtigung, dass die post oder die mail eingangen sei, dass die antwort aber dauern könne. leider wird nie ein zeitfenster oder dergleichen mehr angegeben.

das bedeutet, nach der abschaffung des spontankunden wird auch der plan- oder terminkunde nicht mehr akzeptiert, sondern nur noch der wart- und verharrkunde, der sich spontan überraschen lassen kann, wann er denn nun eine antwort oder einen bescheid, eine entscheidung erhält. abgesehen von der verlorenen planungssicherheit, ist man den behördlichen abläufen vollständig ausgeliefert (und wird schon vorher darauf hingewiesen von nachfragen abzusehen). man ist also überhaupt kein kunde mehr, man ist inzwischen wieder bittsteller. berlin sollte den begriff spontankunde, der hier schnell einen bedrohlichen unterton erhält, ja subversiv über seine zeit verfügt, vollständig aus dem sortiment nehmen 😉

wissenschaftliches schreiben und männer

das wissenschaftliche schreiben ist überspitzt formuliert, ein männliches schreiben. möglichst ohne emotionen, ohne zu viel persönliche meinung ist eine untersuchung oder ein experiment zu beschreiben, eine ausarbeitung zu erstellen. es wird kein grosses gewese darum gemacht, es bedarf keiner schmückenden und verzierenden sprache. wissenschaftliches schreiben reduziert das schreiben auf die wiedergabe von tatsachen. dies kommt dem weiterhin gelebten männlichen prinzip nahe.

klar kann man wissenschaft auch ganz anders aufbereiten (übrigens können dies auch männer), doch betrachtet man sich einmal die deutschsprachige wissenschaftslandschaft, dann ist dies nicht erwünscht. wann werden bei uns schon einmal essays oder kommentare in seminaren geschrieben? wo finden noch große diskurse statt? manchmal wünscht man sich die emotionalen und direkten 68er zurück, wenn man die heutigen hochschulen betrachtet. da gab es stundenlange diskussionen von 3000 menschen im audimax der fu mit marcuse oder anderen lehrenden zur gesellschaftlichen lage. (siehe http://web.fu-berlin.de/chronik/chronik_Home.html). hier wurde um wissenschaft und ihre ausrichtung gestritten.

dies ist alles vergangenheit. bis heute beherrschen weiter die männer die hochschulen (auch wenn es immer mehr frauen in gehobenen positionen gibt) und verfolgen das eher hierarchisch-emotionslose prinzip. ausreisser aus diesem gefüge darf es nur in den „kreativen“ fächern und hochschulen geben. schaut man genau hin, dann herrscht bei vielen wissenschaftlerInnen eine große begeisterung für das eigene forschungsgebiet und die entdeckungen, die dabei gemacht werden. leider finden sich diese begeisterungen in den wissenschaftlichen texten nicht wieder.

wenn man die freude über die wahrscheinliche entdeckung der higgs-teilchen im fernsehen gesehen hat, dann fragt man sich, weshalb sich in wissenschaftlich geschriebenem diese freude nicht zeigt. es gilt die vorstellung, dass emotionen unwissenschaftlich seien. dem widerspricht aber die persönliche begeisterung für das eigene fach, die eigene disziplin (sonst würde man sich nicht über jahrzehnte mit ein und demselben thema auseinandersetzen). hier wünscht man sich ein seminar mit forschern, um einmal selber zu erforschen, wie männer ihre begeisterung in worte fassen. und dann möchte man sie fragen, Weiterlesen

wund-starr-krampf (08)

herr gottlieb und seine tagesthemen-kommentare

es gibt wahrscheinlich keinen kommentator, keine kommentatorin bei den tagesthemen der ard, der oder die so vorhersehbar sind, wie herr gottlieb vom bayerischen rundfunk. und es gibt wahrscheinlich keinen kommentator und keine kommentatorin, die so oft kommentieren.

generell ist die idee einer kommentar-ecke eine schöne einrichtung, denn die politischen ereignisse in geballter form einer ausführlichen nachrichtensendung bedürfen manchmal einer anmerkung. und wie es auch auf der kommentar-seite einer zeitung der fall ist, gibt es kommentare, die etwas langweilen, da sie keine klare meinung transportieren, oder es gibt kommentare, die konträr zur eigenen meinung liegen und eine reibungsfläche bieten. und natürlich, wie es auch bei kommentaren zu politischen ereignissen notwendig ist, schimmert die politische haltung der kommentierenden durch.

so weit, so gut. aber wie das mit bayern so ist, kennt man sich da. soll heißen, der bayerische rundfunk ist bekannt für seine nähe zur csu und geht gern sonderwege, wenn es sich um das einnehmen einer meinung handelt. so schaffte es der bayerische rundfunk noch in den 80er jahren sich aus dem verbundprogramm der ard auszuklinken, wenn inhalte missfielen. das ist heute nicht mehr so. und ja, auch der bayerische rundfunkt ist kritischer geworden, tritt vielfältiger und differenzierter auf.

nur herr gottlieb scheint damit noch seine schwierigkeiten zu haben. da gibt es themen, die man aus konservativer sicht kritisieren muss. doch leider nimmt die csu eine gegenteilige haltung ein. schönes beispiel dafür ist das vorgehen um den fiskalpakt und die rettungsmaßnahmen, also auch der gang zum bundesverfassungsgericht. als regierungspartei muss die csu für die eu-beschlüsse sein, doch als konservativer mensch möchte man sich der eu nicht zu sehr angliedern. da gerät herr gottlieb in die bredouille. er möchte die finanzielle unterstützung für die schlecht wirtschaftenden länder kritisieren, aber der csu nicht auf die füsse treten.

dies sind die amüsantesten kommentare der tagethemen. jedesmal sitze ich da und denke – „kriegt er die kurve noch?“. schafft es herr gottlieb wieder, die krititker zu kritisieren, um der csu mit seinem kommentar nicht zu nahe zu treten. und irgendwie schafft er es immer wieder. rhetorisch manchmal ein meisterstück, zum beispiel nur den teil der kritikerInnen herauszugreifen und zu belehren, der zwar das gleiche wie die konservative welt sagt, aber aus dem falschen politischen kontext kommt. bei herrn gottlieb wird man es nie erleben, dass die csu wirklich kritisiert wird.

aber neben dem amüsement ist es doch ärgerlich, dass die landespolitisch angebundenen kommentare so oft das angebot der ard besetzen. hier wäre mehr vielfalt wünschenswert. aber irgendwo konnte man einmal lesen, dass die restlichen sendeanstalten gar nicht so scharf darauf sind, zu kommentieren. also ich würde mich gern da hinsetzen und einen kommentar zur bayerischen gschafftelhuberei sprechen. kommentare sollen ja nicht neutral sein, sondern die persönliche meinung wiederspiegeln 😉

wortklauberei (110)

„gottesteilchen“

nun, blasphemie ist das hier nicht. eher eine seltsame begebenheit, wie namen entstehen können. also da fanden wissenschaftlerInnen wahrscheinlich das higgs-teilchen (http://de.wikipedia.org/wiki/Higgs-Boson) im cern-forschungszentrum. wissenschaftlich eine sensation, wenn dem wirklich so sein sollte. aber dann macht eben auch der begriff „gottesteilchen“ die runde, eine doch etwas seltsam anmutende bezeichnung.

doch der name führt in die irre, wie man vorgestern abend im zdf erfahren konnte: ursprünglich wurde es einmal auf englisch als das „gottverdammt-nicht-zu-findende-teilchen“ bezeichnet. und eine fehlerhafte wiedergabe dieser bezeichnung (die neben dem fluch auch nicht unbedingt eine klare beschreibung liefert) führte zum „gottesteilchen“. erstaunlich, dass solche sprachlichen ausrutscher eher übernommen als verworfen werden.

für menschen, die nur an den einen gott glauben, ist unvorstellbar, dass es teilchen von ihm gibt oder dass gott teilchen hergibt. er hat in den augen der gläubigen die welt an sieben tagen erschaffen (also eigentlich an sechs) und später nichts mehr hinzugefügt oder weggenommen. geschöpft ist geschöpft. also würde gott nie andere teilchen schöpfen, die wiederum ihm selber entstammen.

man könnte aber noch anders an die sache rangehen, und die meinung verbreiten, dass es so ein wichtiges teilchen ist, dass es nur eine der ersten schöpfungen gottes sein kann. darum nennt man es „gottesteilchen“. dann hätte aber die gottesanbeterin zu unrecht ihren namen. zudem könnte man in zukunft, um den fluch und den glauben beiseite zu lassen, nur noch vom „higgs-teilchen“ reden. damit würde man den theoretiker, der das teilchen vermutete, ehren und benennen. nur leider bekommt das teilchen im deutschen ausgesprochen einen stark alkoholischen beigeschmack und verführt immer wieder dazu, die ernsthaftigkeit der erkenntnis in die humorvolle ecke zu drängen.

wie wäre es da mit dem namen „universum-schaffendes-masse-teilchen“ (usmt)? leider geht auch das nicht. bedeutet dies bei microsoft doch „user state migration tool“. schwer ist es, einfach schwer mit der wissenschaftssprache. alternativvorschläge werden gern entgegengenommen. 😉

web 2.0 und wohnen

es ist nicht leicht im internet etwas über angenehmes wohnen zu finden. gibt man in den suchmaschinen „wohnen“ oder „wohnung“ ein, landet man entweder in der immobilienwelt oder im zeitschriftenmarkt. man muss die suche schon spezieller gestalten. hier merkt man also, dass das thema wohnen kein diskussionswürdiges gebiet, sondern eine finanzielle fragestellung ist. der markt lohnt sich.

auch beim versuch, blogs zu durchsuchen, ergibt sich erst einmal nichts interessantes. man muss also zum beispiel nach „wohndesign“ suchen und findet in diesem zusammenhang zumindest blogs, die sich den verschiedenen möglichkeiten einer wohnungseinrichtung widmen. doch auch diese blogs beschränken sich meist auf das vorsortieren des marktes von einrichtungsgegenständen. auch bei diesen seiten wird nicht die bedeutung des wohnens thematisiert, noch eine form der kreativität dargestellt. der großteil der seiten orientiert sich erst einmal an firmen und produzenten von wohndesign.

ich finde das faszinierend. da gibt es für viele von uns nichts wichtigeres, als ein dach über dem kopf zu haben, nicht obdachlos zu sein. da gibt es unzählige modetrends und entwicklungen in bezug auf das wohnen. da gibt es konzepte zum sozialen miteinander beim wohnen, doch es gibt nur versteckt die passenden seiten dazu. gut, man kann etliche do-it-yourself-seiten für das gestalten der einrichtung finden (also zum beispiel ganz nett: die seite der ikea-hackers http://www.ikeahackers.net/ ), aber man findet sehr schwer eine seite, die den diskurs ums wohnen führt.

dabei muss dies noch nicht einmal sofort ein politischer sein, obwohl auch dies nicht bedeutungslos ist, aber wir machen uns anscheinend kaum gedanken um eine inzwischen für alle sehr wichtige lebensweise. oder anders formuliert: wir interessieren uns nicht sehr für gedanken über das wohnen. der trend zum nesting, die frage der gentrification, wohnkonzepte oder die Weiterlesen

wortklauberei (109)

„fiskalpakt“

die staatfinanzen betreffend wird ein pakt (also vertrag) geschlossen. so könnte man den „fiskalpakt“ beschreiben. da klingt erst einmal schlicht und verständlich, wie zum beispiel „etatverhandlungen“, „steuergesetze“ oder „finanzministerium“. doch inzwischen wuchs sich der fiskalpakt eigentlich zu einer „überschuldungsverordnung und insolvenzpräventionsvertrag auf europolitischer ebene“ aus. irgendwo in den ministerien müssen in den letzten jahren menschen beschäftigt werden, die keine andere aufgabe haben, als worte zu schöpfen, die möglichst wenig von der eigentlichen sachlage preisgeben.

denn der fiskalpakt hat keine andere aufgabe, als die länder der eu daran zu hindern, so viele schulden aufzunehmen, dass ihnen irgendwann die eigenen finanzen um die ohren fliegen. nun gibt es aber schon vor dem schließen des paktes ein paar probleme: die staatfinanzen betreffend überfliegen viele länder der eu die angestrebten schallmauern. die neuverschuldung ist auch weiterhin enorm. man möchte aber gleichzeitig nicht alle sofort abstrafen, denn dann würden sie dem pakt gar nicht zustimmen. also baut man schon im vorfeld eine abweichung vom pakt (und macht einen nicht-pakt daraus).

viel schwerwiegender ist etwas ganz anderes: der pakt wird am reissbrett entworfen und verlagert die nationalen entscheidungsstrukturen auf eine internationale, europäische ebene. das heisst, schlagartig werden unsere demokratischen strukturen übergangen und einige wenige beschließen diesen pakt. das realisierte irgendwann auch unsere regierung (mit ein wenig unterstützung durch das bundesverfassungsgericht). doch eigentlich ist das immer noch nicht alles: teile der nationalen finanzpolitik werden mit dem fiskalpakt ausgelagert und auf die europäische ebene übertragen. die entscheidungen über unsere staatfinanzen entziehen sich somit dem einfluss von uns wählern. wir wähler haben keinen demokratisch direkten zugriff mehr auf die entscheidungen über unsere steuergelder.

darum schlägt der finanzminister plötzlich eine volksabstimmung vor. denn bis jetzt hat auch nicht das europäische parlament (das wir ja mitwählen) über den fiskalpakt entschieden, sondern nur einige wenige menschen (regierungschefInnen, ministerInnen und mitarbeiterInnen). der fiskalpakt hebelt also unsere demokratie aus. dafür ist das wort „fiskalpakt“ ein possierlicher begriff, der ein weiteres mal die dimensionen verschleiert. faszinierend, wie sprache weitreichende entscheidungen klein und übersichtlich macht. ich muss da immer an „kernenergie“ denken. (übrigens haben wir in bürokratischen zusammenhängen keine probleme damit, längere und differenziertere begriffe zu verwenden.)

ein possierlicher vogel hat den schönen namen: fiskalwürger – siehe: http://www.tierdoku.com/index.php?title=Fiskalwürger

Verständlichkeitsstudie – ERGO Versicherungsgruppe AG – ein lesetipp

wer versteht das kleingedruckte? wer liest und versteht gebrauchsanweisungen? wie soll man eine steuererklärung machen, wenn man sie nicht versteht?

erste ergebnisse einer studie von forsa, im auftrag der ergo versicherungsgruppe, können im internet nachgelesen werden. es lohnt sich ein blick in die pressetexte zu werfen, denn neben den texten von versicherungsverträgen scheinen die steuererklärungen am unverständlichsten zu sein.

da kann man tief durchatmen. dachte man doch immer, die anderen würde das alles verstehen, nur man selber ist zu doof dazu. bei den befragten texten könnte man eine wortklauberei an die andere hängen. und vielleicht schafft es ja eine schreibpädagogik mit kreativem schreiben, die welt ein stück verständlicher zu machen.

übrigens lesen frauen das kleingedruckte öfter als männer. was ein echter kerl ist, der kriegt das schon so hin – auch wenn er monate dafür braucht. aber ein blick ins kleingedruckte oder die gebrauchsanweisung ist ein zeichen von schwäche 😀

hier kann man nachschauen:

ERGO Verständlichkeitsstudie | ERGO Versicherungsgruppe AG.

wortklauberei (108)

rekapitalisierung / restrukturierung der banken

„Im Rahmen des Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetzes schließlich können Unternehmen des Finanzsektors den Finanzmarktstabilisierungsfonds für Rekapitalisierungen unter bestimmten Bedingungen in Anspruch nehmen.“ (wikipedia zu „rekapitalisierung“)

aha, da haben wir sie wieder, diese wortungetüme, die etwas „positives“ suggerieren und eigentlich einen „negativen“ hintergrund haben. wer wollte schon begriffen wie „stabilisierung“, „fonds“ und „rekapitalisierung“ etwas zerstörerisches anheften. auch rettungsfonds klingt noch zu hübsch für das, was da gerade geschieht. darum vielleicht einmal im umgangssprachlichen format:

die konstrukte „geld“ und „kapital“ (so ist der geldschein nie so viel wert, wie auf ihm steht, also in der produktion nicht so teuer) waren für menschen, die banken leiten, banken protegieren und banken für die himmelspforten der gesellschaft halten, ein anlass, den besitz andere menschen zu verzocken. sie bauten auf die gedanklichen konstruktionen noch ein paar luftschlösser, die immer höher wuchsen und irgendwann zusammenkrachten. dabei wurde der besitz anderer menschen vernichtet. da man aber angst hat, dass die anderen noch existierenden luftschlösser auch zusammenkrachen, beatmet man die banken künstlich weiter mit dem restlichen besitz der menschen, deren besitz zum großteil schon vernichtet wurde.

faszinierend – diebstahl ist in unserer gesellschaft eine straftat, die im vergleich zu machen körperlichen und sozialen vergehen relativ hoch bestraft wird. ab einer gewissen gesellschaftlichen höhe wird diebstahl nicht mehr bestraft sondern gerettet. noch absurder wird es, wenn die kanzlerin erklärt, man dürfe nun die misswirtschaft einzelner länder der eu nicht der gesamten bevölkerung des zusammenschlusses aufbürden, wobei sie im selben atemzug exakt das gleiche in ihrem land getan hat. die misswirtschaft einzelner banken wurde der gesamten bevölkerung aufgebürdet.

manches kann man vielleicht noch unter solidarität verbuchen, da ein crash noch mehr menschen in mitleidenschaft ziehen würde. aber sich dann einer sprache zu bedienen, die die mechanismen einer zocker- und selbstbedienungshaltung verschleiert, die einigen wenigen weiterhin einen freibrief ausstellt, das zeigt, wie gut sprache funktioniert. folgt man den formulierungen, kann man glauben, dass „wir“ mit all dem nichts zu tun haben, dass es bei uns ja ehrlicher zugeht und wir immer nur in der eu blechen sollen. noch faszinierender finde ich, dass diese sprachliche verschleierung auch noch funktioniert. so werden wir auch morgen noch retten, fonds gründen, rekapitalisieren und restrukturieren, obwohl schon längst die struktur den bach runter und das kapital futsch ist.

wortklauberei (107)

„a wie angriff“
„a wie a-klasse“

endlich spricht es eine werbung einmal aus: es herrscht krieg auf den strassen. und daimler liefert den neuen panzer dafür. in dem martialischen spot bezieht sich der autohersteller zwar auf den fussball, der wohl auch nur die funktion besitzt ein ventil für all die angestaute angst und wut einer gesellschaft darzustellen. selten hat es ein werbespot so auf den punkt gebracht, wofür heutzutage die großen karossen gekauft werden oder fussball gespielt wird. ach ja, daimler ist übrigens auch ein recht ergiebiger rüstungskonzern.

wie war das noch einmal mit dem „stahlhelm“, der nur ein versprecher war (aber was für einer?). die relativierung folgt auch schon auf dem fuße: die briten würden sich noch viel stärker vor großen fussballspielen einer kriegerischen sprache bedienen. na dann, ist ja alles in ordnung. der mediale großangriff ist trotzdem nur noch eine verlogene farce. gebetsmühlenartig ist vor der em betont worden, es sei ja ein sportlicher wettkampf, der nicht zur hauptaufgabe habe, sich mit gesellschaftlichen verhältnissen in den gastgeberländern oder überhaupt auseinanderzusetzen.

ein blick in die teilnehmerländer würde viel mehr offenbaren. der tagesspiegel aus berlin hielt es abermals für notwendig zu betonen, dass beim autokorso nach dem sieg der deutschen mannschaft ein großer teil der teilnehmer einen migrationshintergrund (und wahrscheinlich einen deutschen pass) hattena. zudem hätten einige teilnehmer feuerwerkskörper mit auf die fanmeile genommen und dort auch abgefeuert. wie in allen wohngebieten schon beim ersten spiel silvesterstimmung herrschte, nur dass mancher knall nicht mehr nach feuerwerk sondern nach waffe klang. aber auch hier folgt die relativierung sofort: es lag am alkoholeinfluss.

alles nur ein unterhaltsames spiel, bei dem aus jeder pore aggression schwallt. a wie angriff. g-e wie germany. da wirkt der anschließende spot der uefa für die gegenseitige nationale toleranz wie eine veraltete benetton-werbung. wäre man doch endlich einmal ehrlich: es geht um das große geschäft von großen konzernen, von fanmeilen-betreibern oder von handelszonen. und es geht darum, emotionen zu kanalisieren. denn zeitgleich werden wieder 120 milliarden beigesteuert, um banken zu retten. hier will niemand den slogan „a wie angriff“ hören. ist ja auch kein spiel.

biografisches schreiben und kunst

ein weites feld: es geht um ästhetik, um geschmack oder um eigene künstlerische ambitionen. das erstaunliche in unserer gesellschaft ist, dass wir die kunst zwar schlecht behandeln (miese bezahlung und finanzierung, minimale verankerung in der (aus)bildung, skurriler geniekult), gleichzeitig aber nicht von ihr lassen können. zwischenzeitlich scheint es (und wird es auch so vermittelt), wie wenn kunst und kultur ein luxusproblem wären. dabei zeigt sich, dass selbst unter widrigen lebensumständen immer wieder kunst geschaffen wurde.

kunst vermittelt zwischen erworbenen fähigkeiten, gesellschaftlichen vorstellungen und persönlichem ausdruck. kunst kann kritisieren, untermalen, konservieren oder auch nur anarchisch durch das leben mäandern. beim verfassen der eigenen lebensgeschichte, sollte auf keinen fall der bezug zur kunst, zum künstlerischen fehlen. immer noch begegnen viele menschen dem begriff „kunst“ mit ehrfurcht und sehen sich selbst weit entfernt von kreativität. betrachtet man aber den alltag, dann zeigt sich, dass sowohl kunst konsumiert als auch geschaffen wird.

es heisst nicht ohne grund gartenkunst, kochkunst, kleinkunst, baukunst und vieles mehr. die wertigkeit ist oft eine gesellschaftlich übernommene. die gern getroffene aussage bei moderner kunst „das könnte ich auch!“, sollte eigentlich als einladung verstanden werden, es wirklich zu probieren. eine abkehr von der abwertung des selbstgeschaffenen (und sei es auch „nur“ ein eigenes strickmuster oder kinderbild) würde die kunst an sich glaubhafter und lebhafter erscheinen lassen. schauen sie doch mal beim biografischen schreiben, was sie alles selbst geschaffen haben. schauen sie, wie sie es bewerten, wie sehr sie es mit anderen „schöpfungen“ vergleichen. nicht alles muss gleich die konkurrenz mit auktionsrekord-kunst bestehen.

betrachten sie eher den aspekt, wie es sich anfühlte, als sie etwas schafften, schöpften, entwarfen oder erfanden. was wollte man mit dem gemachten ausdrücken? warum wollte man etwas ausdrücken? wie hat die umwelt das wahrgenommen? und wie wichtig ist es einem, anerkennung Weiterlesen

wortklauberei (106)

„food-magazin“ – „ernährungspartner“

eigentlich ist der ablauf seit der erfindung des feuers identisch: erst einkaufen oder jagen, dann das gekaufte und gejagte zubereiten und danach allein oder mit anderen essen und verspeisen. im verlauf der jahrtausende hat sich aber die form der zubereitung und die form der kommunikation untereinander verändert. doch anscheinend verschwimmen langsam die grenzen, zumindest sprachlich, zwischen den feldern „kaufen – kochen – essen“.

da wird die zeitschrift „essen & trinken“ zum food-magazin (ich kann mich nicht erwehren, ich denke bei „food“ immer an „futter“) und der lebensmittelhändler „rewe“ wird zum ernährungspartner bei der fussball-em. was bedeutet das für unsere gespräch?

„hast du lust, gemeinsam unser food zu zu bereiten?“
„au ja, ich bin dabei. welches food wollen wir den zubereiten?“
„ich weiß noch nicht genau. ich schau noch mal schnell in mein food-magazin.“
„am besten entscheidest du dieses mal. und wenn du weisst, was wir machen, dann ruf mich noch mal an. sag mir was ich mitbringen soll. werd dann auf dem weg zu dir noch schnell bei meinem ernährungspartner und discount vorbeifahren und alles einkaufen.“
„ok, so machen wir das.“

die beiden, die da gemeinsam kochen wollen, sind eigentlich auch ernährungspartner. hier ist das partnerschaftliche noch zu verstehen. doch worin besteht die partnerschaft zwischen mir und rewe? wahrscheinlich gibt es keine – da ich für einen handel bezahlen werde. ernährungspartner könnte ein begriff sein, der nur verwendet wird, wenn nicht bezahlt werden muss. so liefert rewe die lebensmittel für die fussballnationalmannschaft wahrscheinlich für lau.

und bei „food“ muss ich dann doch immer wieder an science-fiction denken. mir geht der satz „soylent green ist menschenfleisch“ aus dem film „soylent green“ nicht aus dem sinn. hatte auch irgendetwas mit food-ernährungspartnerschaft zu tun.

wortklauberei (105)

„planespotter“

nein, es handelt sich hierbei nicht um einen schreibfehler und somit auch nicht um „spötter“ über die peinliche verschiebung der flughafeneröffnung in berlin (obwohl mir hierzu reichlich stoff einfallen würde). es handelt sich um eine hobby erwachsener menschen. die faszination der technik veranlasst sie, maschinen und fahrzeuge in aktion zu beobachten, zu fotografieren und zu genießen.

es gibt die trainspotter (erinnernd an einen film), die gern züge in betrieb fotografieren: einfahrt in den bahnhof, ausfahrt aus dem bahnhof, zug in landschaft, zu in stadt, zug auf erster fahrt, zug auf letzter fahrt, … das wird fotografiert, gefilmt und in vorträgen oder diashows wiederum anderen transportiert. inzwischen hat auch das fernsehen die züge für sich entdeckt und sendet in lücken die schönsten bahnfahrten (oder führerstandsmitfahrten).

so wie man züge beobachten kann, kann man auch flugzeuge beobachten. und um flughäfen herum tummeln sich die so genannten „planespotter“. auch hier wird gestaunt, betrachtet, fotografiert und gefilmt: flugzeug beim landen, flugzeug beim starten und wenn es möglich ist, flugzeug auf dem rollfeld. schwieriger wird es da bei „flugzeug in der landschaft“ (dann ist es meist abgestürzt) oder bei „flugzeug in der stadt“ (nur wenn man neben dem flughafen tempelhof in berlin zum beispiel wohnte). „flugzeug im himmel“ wiederum lässt sich schwer fotografieren und ist aufwendig.

zwei gedanken zu dem hobby und wort: warum nicht planespotter in der nähe von landebahnen ansiedeln? jeden tag sein hobby erleben – ein paradies (und nun doch noch zur eröffnung des flughafens in berlin – das wären dann mal freundInnen des fluglärms).
und eigentlich sind die planespotter nur modernisierte nachfahren der birdwatcher, die bird spotting betreiben (ein vor allen dingen britisches hobby: http://www.rspb.org.uk/advice/watchingbirds/ ). da tschilpt was im busch und hundert kameras sind auf das kleine tier gerichtet. jedoch die birdwatcher betreiben das hobby schon viel länger als die freunde der blechvögel.

beide, birdwatcher und planespotter, haben etwas mit fliegen zu tun. bleibt die frage, welches hobby schöner ist? oder doch train spotting?

nabelschau (67)

gentrifizierung ist überall. ein moderne, seltsamer begriff, der etwas beschreibt, das es schon immer gegeben hat. die schwierigkeit besteht darin, dass die doppeldeutig des begriffes inzwischen zu einem politikum wird. übersetzt heisst gentrification eigentlich „aufwertung“. und das kleine wörtchen „wert“ spielt die hauptrolle in diesem zusammenhang. denn es geht um die gerechtigkeit und verteilung in gesellschaften. ein beispiel:

einer der schönsten biergärten in berlin, am rand eines parks gelegen, seit jahrzehnten dort ansässig, ist im sommer treffpunkt von vielen menschen. der vorteil des gartens war es, dass er weit genug von wohnhäusern entfernt war und somit niemanden der rege betrieb bis in die tiefe nacht störte. in den letzten zwei jahren entstanden in der nähe des biergartens edle häuser mit penthouse- und loft-atmosphäre. der kenner konnte ahnen, was dies bedeutete. menschen mit viel geld platzierten sie in die nähe eines großen biergartens, da sie den ausblick von der anhöhe über die stadt schätzen.

vor ein paar tagen dann die erwartbare konsequenz: um 22.00 uhr wurden auf die bierbänke und tische an denen hunderte saßen kleine schildchen gestellt, auf denen stand, dass man sich nach 22.00 uhr bitte ruhig verhalten möge. es ist logisch, dass das nicht funktionieren kann. das ruhebedürfnis von vierzig oder fünfzig menschen wird über das soziale leben von hunderten gestellt, da man neben einen biergarten edelwohnungen stellen musste. über kurz oder lang wird der treffpunkt reglementiert und eingeschränkt werden. die „aufwertung“ führt zu „verdrängung“.

das wäre auch nicht so das problem, wenn es nicht weit entfernt, alternativen gäbe. doch dem ist nicht so. berlin ist ein schönes beispiel dafür, wie sukzessive eine innenstadt, eine mitte zu einem sterilen, langweiligen und muffigen ort wird. der potsdamer platz hat einen vorgeschmack gegeben. denn auf“wert“ung bedeutet geld. nur leider bedeutet geld heute einförmigkeit, langeweile und tristesse auf hohem niveau. ausgedrückt wird sich über wohnlage, design und autos. aber eben nicht mehr über lebenäußerungen, soziales miteinander und kreativität. es entstehen austauschbare zentren der sterilität und bewachungen.

wie schon geschrieben, das hat es schon immer gegeben. aber es offenbart sich inzwischen krasser, die kontraste werden immer größer, die finanzielle schere klafft weiter auseinander. inzwischen kann jeder die gesellschaftliche ungerechtigkeit sehen. und das macht menschen zweifelnd, lässt machtverhältnisse in frage stellen. unzufrieden sind alle, sowohl die an den rand gedrängten der gesellschaft, als auch die housekeeping-verwahrten in den zentren. seltsam, dass dies kaum jemand ändern möchte, sondern alle auf eskalationen warten.

wortklauberei (104)

endlagersuchgesetz

wie lautet es bei den schwäbischen kabarettischen sängern „ernst & heinrich“ so schön? „such, such, such!“ und „der mensch ist ein suchender.“ und inzwischen macht er dafür sogar gesetze. wir suchen ja schon lang ein endlager für den atommüll, aber anscheinend wurde nie richtig gesucht. nach gefühlt einem halben jahrhundert wird jetzt ein gesetz erlassen, damit endlich mal richtig gesucht wird. abgesehen von der frage, ob man das nicht schon von anfang an wusste, dass es wahrscheinlich keinen anständigen ort für ein endlager gibt, ist die wortschöpfung für den titel des gesetzes einer der schönsten und bürokratischsten: das „endlagersuchgesetz“.

da kommen einem viele ideen in den sinn: erst einmal die schlichten varianten: die ostereiersuchverordnung oder die versteckenspielensuchregeln. doch dann kann man weiter gehen: wo kommen wir gerade nicht so richtig weiter? was benötigt wahrscheinlich noch ein gesetz? zum beispiel ein rettungsschirmbürgermitsprachesuchgesetz wäre chic. oder ein werdrehtanderbenzipreisschraubesuchgesetz – um auch den populistischen bereich abzudecken. doch dann kämen da noch das woentstehenmonopole(undpreisabsprachen)suchgesetz, das wiealsradfahrerindergroßstadtüberlebensuchgesetz, das wogibteswährendderfussballeuropameisterschaftkneipenohnepublicviewingsuchgesetz, das atomkraftwerkausschaltknopfsuchgesetz, das ichweißgarnichtmehrwasichsuchsuchgesetz in frage.

doch nicht genug damit, als nächstes sollten die schützunsnichtfliegervorfluglärmverordnung, das tvwerbeunterbrechungsverkürzungsgesetz, die gutefilmezurprimetimesendeverordnung, das ruhezoneninöffentlichenverkehrsmittelnvergrößerungsgesetz, die wirerziehenunserekinderzuhausezuegotrippernverhinderungsverordnung, das vorratsdatenspeicherungskammerundservergesetz und das tauschhandelistwiedererwünschtgesetz erlassen werden.

und wenn alle gesetze und verordnungen berarbeitet und erlassen wurden, dann wird man sicherlich auch ein endlager finden. aber so lang kommt bei mir der strom einfach aus der steckdose.

wortklauberei (103)

neuromarketing

da ich hier im blog gerade so in fahrt komme, mich über die neurowissenschaften und die neuropsychologie zu echauffieren, greife ich doch gleich einmal eines der aktuellen gruseligen worte auf. angeblich liegt der trend der zeit im „neuromarketing“. nun kann man ja schon über die disziplin „marketing“ streiten, deren einziges ziel es ist, viel von einem produkt zu verkaufen, mit allen mitteln, die recht sind.

nein, bei neuromarketing kann man weder werbung noch anreize für den kauf von gehirnen oder nervenzellen finden. vielmehr geht es darum, tricks und techniken zu entwickeln, die kundInnen willenlos machen und ein bestimmtes produkt kaufen lassen. dabei stützen sich die marketing-expertInnen auf erkenntnisse aus den neurowissenschaften oder geben dementsprechende forschung in auftrag. letztendlich soll herausgefunden werden, welche unterschwelligen manipulationstechniken zum kauf eines produkts führen könnten. dazu werden augenbewegungen und hirnscans im mrt (magnetresonanztomographen) durchgeführt.

es wird geschaut, welche bilder, farben, gerüche oder texturen welche hirnregionen aktivieren. sollte man die „einkaufs-„ oder „haben-wollen“-region im gehirn mit produkteigenschaften koppeln können, dann hat man das richtige instrument gefunden. zum glück funktioniert das, wie vieles im marketing und in der werbung, nicht ganz so reibungslos, wie man es gern hätte. der mensch reflektiert einfach zu viel und ist schwer zu dressieren.

jedoch werden immer mehr läden und passagen mit duftzerstäubern aufgerüstet, um unterschwellig emotionen auszulösen. ebenso werden produkte dementsprechend eingefärbt, platziert und verpackt, um dadurch unterschwellig einen (kaufan)reiz zu geben. all diese versuche basieren auf statistischen neurowissenschaftllichen experimenten. ich plädiere dafür „marketing“ einfach durch „manipulation“(sversuch) zu ersetzen. denn damit benennt man wirklich, worum es geht, um neuromanipulation.

wortklauberei (102)

„wirtschaft – wachstum – wohlstand“

die welt kann so einfach sein, wenn man dem „www“, der kapitalistischen dreieinigkeit des bundesministeriums für wirtschaft und technologie glaubt. diese wortkombination aus „wirtschaft – wachstum – wohlstand“ prangte öfter in werbebannern auf webseiten von tageszeitungen. doch nicht genug damit, das „www“ war erst der anfang. danach wurde noch ministeriumslyrik an der seite der homepage eingeblendet:

„energiewende!
neue netze
neue fakten
neuer newsletter!“

abgesehen von der politischen dimension, dass die flexibilität in richtung neuer positionen nach jahrzehnten der oden an die atomenergie einen doch noch erschreckt, fallen einem viele assoziationen zu den texten ein. ja, man wird überschwemmt von ideen. ich würde dem beinahe rhythmischen verslein gern die überschrift „“neu“lich“ verpassen. und ich würde gern den neuen newsletter durch „neue haltungen“ oder „neue versprechungen“ ersetzen.

auch das „www“ ließe sich noch ein wenig aufhübschen. wie wäre es mit „wirtschaft – wachstum – weltzufriedenheit“ oder „wirtschaft – wachstum – wahnsinn“? man könnte eine kleine schreibaufgabe daraus entwickeln: schreiben sie ein gedicht für das ministerium für wirtschaft und technologie!
ganz schnell würde ich folgendes einreichen:

klimawandel!
wirtschaft
wachstum
weltuntergang

ja, ja, ich weiß, die moralkeule, aber spaß macht es schon. die ministerialen dichterInnen haben zumindest bei mir ihr ziel erreicht: aufmerksamkeit 😉

nabelschau (63)

tag-und-nacht-gleiche. ausgewogen sollten die gewichte sein, wie die tag-und-nacht-gleiche. hell und dunkel sollten gleich lang andauern, je nach vorliebe wäre für jeden genauso viel dabei. zum frühlings- und zum herbstanfang ist dies der fall. leider nicht zu allen anderen jahreszeiten. leider auch sonst nicht in unserem restlichen leben. es gibt keine zeitliche und keine bedingungsgerechtigkeit. das problem abseits der natur besteht aber darin, dass wir die ungleichheit selbst produzieren. wir werten auf und werten ab – und was noch schlimmer ist, wir ignorieren diese ungerechtigkeit.

es ist nicht mehr zu verstehen, weshalb die trauerfeier um kinder, die in einem bus gestorben sind, der gegen eine tunnelwand raste in den hauptnachrichten staatlicher sender platz findet, aber die trauerfeiern für die kinder, die täglich in afrika verhungern nicht einmal gezeigt werden. so schlimm der unfall im tunnel ist, so schlimm das erlebte für belgische eltern ist, so unklar ist die gewichtung. gut, die geographische nähe ist ein unterstützender faktor, das zugpferd katastrophe sicherlich auch.

aber der alltag in afrika ist auch ein katastrophe, die leider täglich stattfindet. und wir tun immer noch so, wie wenn wir nicht daran beteiligt wären. wir gewichten also das leid und die kinder (ja, es wird auch das label „kind“ in diesem zusammenhang für die meldung genutzt) verschieden. es ist zu vermuten, dass sich „ohnmacht“ – nämlich ein unfall – besser verkauft, als schlechtes gewissen. darum wird wohl die rede einer schwester eines opfers zur hauptsendezeit verbreitet. wir bilden aber nicht (oder fairer weise sollte ich schreiben „kaum“) die ohnmacht einer mutter ab, die ihr kind verhungern lassen muss.

da mag es mancher „unerträglich moralisierend“ finden, was hier steht. aber es scheint mir interessant, weshalb so gewichtet wird. die distanz allein kann es nicht sein. schon die zahl der opfer in afrika spricht gegen die alleinige distanz. es scheint, hier wird der bildungs- und informationsauftrag öffentlich-rechtlicher anstalten absichtlich missverstanden. es geht um die quote! zum bildungsauftrag gehört auch, unbequemes zu thematisieren. aber eine der begründungen für manches infotainment ist: die menschen wollen nicht immer nur schlimme nachrichten vernehmen.

doch tod ist tod – ein mensch wird aus dem leben gerissen. andere menschen werden ihn vermissen, sie trauern. aber es gibt hier eine schräge sichtweise. der tod in belgien ist wichtiger als der tod in afrika. und wenn man genau hinhört, dann schwingt in vielen berichten auch die unterscheidung von unverschuldet und selbst verschuldet mit. die erwähnung von bürgerkriegen wird im zusammenhang mit einer hungersnot sehr gern gebracht. wie wenn der klimawandel und die trockenheit nicht vor allen dingen von uns mitverursacht werden. manchmal wünscht man sich in den nachrichten eine tag-und-nacht-gleiche so zum an die eigene nase fassen. und dann vielleicht wenigstens, allerwenigstens den co2-ausstoss zu verringern.