Tagesarchiv: 17. Juni 2012

wie man den spass am schreiben abgewöhnt (09)

kein kopieren

bei wissenschaftlichen arbeiten mag man dies noch verstehen, dass pures kopieren nicht zeigt, wie man selbstständig zu wissenschaftlichen erkenntnissen gelangt. obwohl auch da das kopierte ja nur als zitat kenntlich gemacht werden müsste, um es für die eigenen überlegungen nutzen zu können. aber generell gibt es inzwischen eine verteufelung des „copy & paste“, worüber man meiner ansicht nach vortrefflich streiten kann.

vor dem schreiben steht die ideenfindung und recherche. kein schreibender mensch erfindet das rad neu, sondern orientiert sich an schon vorhandenem, an bekanntem und an persönlichen vorlieben. dabei wird nachgemacht, weitergedacht oder nur neu kombiniert. diese prozesse werden gern abgewertet als faulheit und ausweichhandlung.

das scheint absurd, wenn man sich die denkleistung dahinter betrachtet: es wurden erst einmal informationspools gesucht, sie wurden durchforstet, es wurde ausgewählt, es wurde gelesen, es wurden ausschnitte kopiert und neu kombiniert. letztendlich wurden also für die schaffung eines neuen produktes collagetechniken angewendet. wer glaubt denn, dass dies früher nicht der fall war? ganz gleich, ob schule, hochschule oder freizeit, es wurde abgeschrieben. nur handschriftlich war dieser prozess viel aufwendiger. da fiel die entscheidung leichter, gleich etwas eigenes zu schreiben.

aber generell stellt sich die frage, ob die qualität eines textes automatisch dadurch schlechter wird, dass man versatzstücke anderer ansprechender texte verwendet. mein momentanes lieblingsthema: musik und malerei haben dies schon lange vorgemacht, nur beim schreiben wird ein anderer maßstab angelegt. und schnell rutscht man in die denkstruktur, dass es eines geniehaften schöpfens aus sich selbst heraus bedarf, um schreiben zu können. „copy & paste“ können ein wunderbarer einstieg ins schreiben sein.

die sorge, dass dann nur noch kopiert würde, ist eine falsche. ausweichhandlungen treten nur dann auf, wenn eine sache keinen spaß macht, zwang und druck zum ausweichen und zur flucht animieren. kreativ sein ist aber für alle menschen ein angenehmes gefühl, wenn keine abwertungen im nachhinein stattfinden. und kreativität verlangt nur die neukombination von bisher gedachtem aber nicht die vollständige neuschöpfung, die von der logik her auch gar nicht außerhalb gesellschaftlicher parameter machbar ist. wir können nicht denken, was abseits des menschlich vorstellbaren liegt. doch unsere vorstellung, dass butter butter ist, ist gesellschaftlich vermittelt, also schon einmal von jemandem gedacht worden.

also ist das kopieren und neukombinieren eine fähigkeit, die uns menschen kreativ werden lässt und unsere entwicklung fördert. es wird zeit, dass beim schreiben die angst vor dem „copy & paste“ abgelegt wird. wir tun es sowieso schon. und dann kann der fokus auch auf den kreativen aspekt im hintergrund gerichtet werden. was für ein spaß ist es, aus textschnippseln von goethes „faust“ ein neues stück zu kreieren. und wie viel größer wird der spaß im laufe der zeit, wenn man anfängt selber wie goethe zu schreiben. das kopieren ist eine gute technik um sich dem schreiben anzunähern, wir sollten in schulen, hochschulen, in der kunst und literatur nicht darauf verzichten.

unter einem ganz anderen gesichtspunkt verläuft die debatte um das vollständige kopieren ganzer bücher, ohne neues daraus zu schaffen. die ist hier nicht gemeint.

schreibidee (373)

in einer atemlosen welt atemlose texte zu schreiben kann die hektik und die zeitknappheit widerspiegeln. der weg zu atemlosen texten wiederum kann spielerisch betreten werden. es geht nicht darum, immer schneller zu lesen und dadurch außer atem zu kommen, es geht eher um die aneinanderreihung von informationen oder dingen, die die leserInnen oder zuhörerInnen in einen zugzwang des schnellen denkens schleudern. darum eine schreibanregung zu „lindwurm-texten“.

der lindwurm ist ein sagenhafter drache, der sich langgestreckt durch die gegend schlängelt und mit seiner länge beeindruckt. darum ist ein lindwurm-wort nichts anderes als ein langes wort, das seinen sinn nicht verliert, sondern vorstellbares beschreibt oder umschreibt. ein klassiker: donaudampfschifffahrtskapitän. in der schreibgruppe wird zum einstieg der wettbewerb ausgetragen, wer das längste sinnvolle wort findet. dazu müssen nach der entwurfsphase, die längsten wörter vorgestellt und die buchstaben der worte gezählt werden. gesiegt hat das längste wort. so schlicht die übung daherkommt, so viel spaß kann sie machen. man kann den schwierigkeitsgrad dadurch erhöhen, dass das wort einen sachverhalt und nicht nur einen gegenstand beschreiben soll. zum beispiel: die sachverständigenratvorsitzendenübergangsregelungsprotokollverlesung.

im zweiten schritt des schreibgruppentreffens werden listen erstellt. am einfachsten ist es die beschreibung eines ortes dafür heranzuziehen. die teilnehmerInnen werden aufgefordert alle gegenstände, die ihnen in einem raum auffallen, zu notieren (wenn man gleich in die Vollen gehen möchte, dann kann man in einen supermarkt gehen). daraus wird dann ein satz erstellt, der mit den worten „ich befinde mich in einem raum mit …“ beginnt. am besten reiht man nun nomen mit dem passenden adjektiv hintereinander auf, z.b.: ich befinde mich in einem raum mit grünen vorhängen, braunen stühlen, einem gelben teppichboden, metallenen lampen… . ist die aufzählung beendet wird mit einem satz als zusatz „… und überlege mir…“ geschlossen. die aufzählungen werden vorgetragen.

wenn nun alle teilnehmerInnen der schreibgruppe langsam hektisch werden, kann eine geschichte im stakkato-format verfasst werden. dazu wird abermals eine liste erstellt. dieses mal soll die liste einen atemlosen tagesablauf erfassen. möchte man den schwierigkeitsgrad erhöhen, kann man auch dazu auffordern ein theaterstück, eine geschichte, eine begebenheit in listenform zu bringen. dabei sollte eine eintragung nicht mehr als ein adjektiv, ein nomen und ein verb enthalten. zum beispiel: wecker klingelt. aufgestanden. hausschuhe angezogen. kaffeemaschine angestellt. geduscht. angezogen. haus verlassen. auto gestartet. losgefahren. volle strassen… .

die texte werden ruhig aber ohne pause vorgelesen und es findet ein feedback zu dem stilistischen mittel statt. sollte noch zeit für das gruppentreffen zur verfügung stehen, können nun geschichten in dieser schreibform erzählt werden. diese stichwortartigen aufzählungen von handlungen geben dem text einen ganz eigenen drive und fordern die zuhörerInnen zur gedanklichen ergänzung auf. wie wäre es mit einem krimi als lindwurm-text?